Die Beutefrau
zukommen ließ, daß er zu Höherem erwählt war.
»Was sich da in Konstantinopel abspielt, ist eines Kaiserreichs unwürdig, genau wie die Frau, die sich auf so grausame Weise des Throns bemächtigt hat«, meinte Karl, nachdem er die Gemüseschüssel, die ihm Liutgard zugeschoben hatte, einem Diener mit der Bitte gab, sie weit von ihm entfernt, am anderen Ende der Tafel, niederzustellen. Mit beiden Händen griff er nach einem riesigen Stück Auerochs, das über den Rand der Schlachtplatte hinausragte.
»Das sage ich schon seit Jahren«, meldete sich Alkuin, der aus Tours zu einem Besuch gekommen war. »Die Gebrechlichkeit ihres Geschlechts und die Wankelmütigkeit des weiblichen Herzens erlauben es keiner Frau, den höchsten Thron einzunehmen. Sie hat sich gefälligst männlicher Autorität unterzuordnen. Nur ein Mann kann Kaiser sein.«
Rotrud hob ihren Becher und bemerkte übermütig: »Also, Vater, was hält dann dich noch auf, Kaiser zu werden? Nenne mir doch bitte einen Menschen auf dieser Welt, der mächtiger ist als du!«
»Über so etwas macht man keine Scherze!« brummte Karl, bevor er den ersten Bissen zum Mund führte. »Schließlich gibt es noch den Heiligen Vater, Christi Stellvertreter auf Erden!«
»Papst Leo?« meldete sich Berta, die wieder hochschwanger war. Sie legte in diese beiden Worte so viel Abschätzigkeit, daß auch die Nebengespräche an der Tafel verstummten.
»Man darf in der Tat die Gerüchte nicht ganz außer acht lassen«, sprang Angilbert, der neu ernannte Abt von Saint Riquier, der Mutter seiner Kinder bei. »Zumal offenbar reichliche Beweise für sein schändliches Verhalten vorliegen. Er gibt sich anscheinend nicht die geringste Mühe, sein Handeln zu verbergen: Buhlerei, Unzucht, Meineid, Bestechung, Korruption …«
»Ich dulde nicht, daß in meiner Gegenwart derartiges über den Heiligen Vater gesprochen wird!« fuhr Karl auf, nahm das Fleisch in die linke Hand und schlug mit der rechten auf den Tisch. »Ihr wißt, wie sehr ich seinen Vorgänger Papst Hadrian geschätzt habe. Ich war untröstlich, als er starb! Doch auch er hat Ämter mit Verwandten besetzt, und dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Im Gegenteil, ein jeder Herrscher sollte in wichtigen Positionen Leute haben, denen er bedingungslos vertrauen kann! Und wem kann man mehr vertrauen als seinem eigenen Fleisch und Blut?«
»Du meinst also, ein jeder Papst sollte Reliquien zur eigenen Bereicherung verkaufen dürfen?« bohrte Rotrud weiter, »hohe Kirchenämter an den Meistbietenden abgeben, Orgien feiern, die Bürger seiner Stadt erpressen und bezahlte Gefälligkeitsurteile liefern?«
»Genug, habe ich gesagt!« Wütend riß Karl mit den Zähnen ein Stück Fleisch ab und begann zu kauen.
»Laßt doch den Streit!« Alkuin sprach jetzt so leise, daß sich diejenigen am Ende der Tafel weit vorbeugen mußten, um ihn zu verstehen. »Drei Personen standen einst am höchsten in der Welt: der Papst in seiner Erhabenheit als Stellvertreter Christi; der Kaiser in Byzanz und du, Karl, dem durch die Königswürde von Jesus Christus bestimmt wurde, das Christenvolk zu lenken. Heutzutage werden zwei der Genannten durch den dritten an Macht, Weisheit, Redlichkeit und Erhabenheit zweifelsfrei überragt. Dies ist der eigentliche Beherrscher der Welt und Beschützer der Christenheit. Ihm stünde die Kaiserkrone zu, so wahr mir Gott helfe, und ich bedaure zutiefst, sie ihm nicht selbst aufs Haupt setzen zu dürfen. Doch das wird, so Gott will, ein anderer eines Tages tun.«
»Amen«, murmelte Einhard.
So deutlich hatte das noch nie jemand ausgesprochen. Karl spülte einen äußerst sehnigen Happen mit bernsteinfarbenem Falerner Wein hinunter und holte tief Luft.
»Träumereien sind zwar nicht verboten, aber müßig, weil sie uns nicht weiterbringen«, sagte er sachlich. »Jeder muß sein Alltagsgeschäft so gut verrichten, wie es ihm möglich ist. Für uns heißt das beispielsweise, daß wir uns endlich die Spanische Mark aneignen können. Der Zeitpunkt war noch nie so günstig. Wir können uns den innenpolitischen Zank in diesem omaijadischen Emirat zunutze machen.« Er wandte sich mit hochgezogenen Brauen an seinen jüngsten Sohn. »Du, Ludwig, trägst ja schon die affige Kleidung der Südländer, das runde Oberkleid, die gebauschten Hemdsärmel, diese gepufften Beinkleider und dazu noch die gespornten Stiefel. Also bist du doch bestens dafür ausgestattet, die Reise über die Pyrenäen anzutreten und Barcelona
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