Die Beutefrau
hinlänglich gezeigt hatte, wie sehr er Gerswind verabscheute, auch wenn Karl seiner Behauptung, das Mädchen habe ihn bei der Jagd mit einem Zauber verführt, keinen Glauben schenkte. Es war bezeichnend für Ludwig, sich bei seinem Racheversuch einer derartig durchsichtigen und kreuzdummen Geschichte zu bedienen. Der König konnte nur hoffen, daß die Frömmigkeit seinen jüngsten Sohn davon abhalten würde, Gerswind in irgendeiner Weise zu schaden. Doch bei Karl hatte er die Tugend der kleinen Sächsin bestens aufgehoben geglaubt. So kann man sich irren, dachte er zornig. Nun, diese angebliche Liebe war offensichtlich gerade erst frisch erblüht, und aus eigener Erfahrung wußte der König, daß eine solche Blume schnell welkte, wenn man ihr den Nährboden entzog. Das unsägliche Paar mußte schleunigst getrennt werden! Seinen Sohn Karl würde er nach Niederschlagung des neuen Sachsenaufstands an der Ostgrenze des Reichs beschäftigt halten. Von den dort lebenden Abodriten hatte er nämlich erfahren, daß sie Sachsen aufgenommen hatten, die von den Nordleuten gekommen waren, darunter auch eine hochrangige Frau, deren Namen den Königsboten nicht preisgegeben wurde. Der König war überzeugt, daß es sich dabei um Geva handelte, die Gemahlin Widukinds. Da er schon seit geraumer Zeit nach Gerswinds Mutter gefahndet hatte, waren ihm glaubhafte Gerüchte zu Ohren gekommen, daß sie versucht haben sollte, die sogenannten Wikinger, von denen sie ja abstammte, für die Sache der Sachsen zu gewinnen.
Er lächelte grimmig, als er sich ausmalte, wie sein Sohn Karl Gerswinds Mutter als Verbündete für seine blödsinnigen Heiratsgedanken zu gewinnen trachten und ihm somit Geva nach Aachen ausliefern würde.
Selbstverständlich durfte sich Gerswind dann keinesfalls am Hof aufhalten. Der König fuhr mit der Hand über das Pergament, das Giselas Ankunft aus Chelles im Juni ankündigte. Sie wollte ihr Testament machen und alle ihre Besitztümer der Abtei Chelles übertragen. Auf seinen Vorschlag, Hruodhaid bei ihrer Abreise ein paar Monate zu sich zu nehmen, würde sie bestimmt begeistert eingehen, und da könnte er ihr auch gleich noch Hruodhaids Freundin Gerswind mitgeben. So wäre das Problem mit einem Schlag vom Hof verwiesen.
Karl freute sich trotz aller Geschehnisse ungemein darauf, seine Schwester wiederzusehen, da konnte Alkuin noch so unwirsch darauf bestehen, daß er schnellstens nach Rom reisen und dort die Ordnung wiederherstellen sollte! Die Sachsen und Gisela gingen vor. Und mit ein bißchen Glück würde diese traurige Papstgestalt doch noch ihren Verletzungen erliegen, sich das Problem also auf natürliche Weise lösen und endlich wieder ein angemessener Stellvertreter Christi auf den Petrusstuhl gewählt werden. Der König war äußerst erschrocken gewesen, als ihm die näheren Umstände des Anschlags zugetragen wurden. Ausgerechnet zwei seiner alten Freunde hatten die Verschwörung angeführt!
Mit Primicerius Paschalis, einem Neffen des von Karl hochverehrten letzten Papstes Hadrian, hatte er einst in Rom und später auch bei dessen Besuchen im Frankenland so manchen Becher geleert. Und mit Sacellarius Campulus, der noch kurz vor Hadrians Ableben als päpstlicher Gesandter in Aachen lebte, hatte er ausgiebig über den willensschwachen und sinnenfreudigen Kardinalpresbyter von Santa Susanna hergezogen, bevor dieser als Leo III. den Papstthron bestieg. Karl fragte sich betroffen, ob sich die beiden Männer das Attentat erlaubt hatten, weil sie mit der Zustimmung des Frankenkönigs rechneten. Schließlich wußten sie ganz genau, was er von dem Mann hielt, der Hadrian nachgefolgt war.
Karl setzte sich an den Tisch in seinem Gemach, stützte das Haupt in die Hände und überdachte noch einmal alles, was er über den Anschlag wußte.
An jenem verhängnisvollen 25. April hatten Paschalis und Campulus Leo gemeinsam vom Pferd gerissen und versucht, ihm die Augen auszustechen und die Zunge herauszureißen, um ihn amtsunfähig zu machen. Sie konnten sich in der aufgeregten Menge mit dieser Mißhandlung allerdings nicht lange aufhalten, weshalb sie wohl auch nicht vom erwünschten Erfolg gekrönt war. Aber es gelang ihnen, den Papst mit sich zu führen und ins nahe gelegene Kloster Sankt Erasmus einzusperren, das ebenfalls von Verwandten Hadrians geführt wurde. Es hieß, dort sollte dem Papst der Prozeß gemacht werden, aber vermutlich wollte man ihn in der Abgeschiedenheit der Abtei endgültig verstümmeln, um
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