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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wollte er nach dem Tode wieder nahe sein.«
    »Sollen wir ihn etwa wieder ausgraben?«
    Die Frage klang unwirscher, als Karl es beabsichtigt hatte. Doch Gerswinds Bemerkung hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er hatte erwartet, daß sie ihn anflehen würde, der Hochzeit zuzustimmen, nicht, einen toten Griechen umzubetten.
    »Ja, irgendwann schon.«
    »Und warum hast du dann nicht gleich veranlaßt, daß er nach Saint Denis gebracht wird?«
    Gerswind lächelte ihn traurig an.
    »Wer bin ich denn, daß ich irgend etwas an deinem Hof veranlassen könnte?« fragte sie.
    »Wer hat dir diesen Wunsch abgeschlagen?« fragte er zurück.
    Sie starrte in die Flamme vor sich, die sich in ihrem Atem leicht bewegte.
    »Wer fragt mich schon nach meinen Wünschen?«
    »Wünschst du meinen Sohn zu heiraten?« Er stellte sich auf eine weitere Gegenfrage ein, ein Spiel, das Alkuin einst am Hof eingeführt hatte und das bis zur Unerträglichkeit ausgedehnt werden konnte. Mit ihrer einsilbigen Antwort überraschte ihn Gerswind zum zweiten Mal: »Nein.«
    »Nein?«
    »Ja.«
    Er lächelte. »Ein Ja zu meinem Nein, also?«
    »Ja.«
    »Bist du Beischläferin meines Sohnes?«
    »Wäre das meinem Stand angemessener als eine Ehe?«
    »Welchem Stand gehört eine Geisel an?«
    »Bin ich das immer noch für dich?«
    »Was wärst du denn gern für mich?«
    Gerswind holte tief Luft, ehe sie entgegnete: »Welche Antwort ist hierauf die richtige?«
    Der König strich mit einer Hand sanft über ihre Wange.
    »Was gibt dir denn dein Herz ein?«
    »Mein Herz«, sagte sie leise, »hast du mir heute zurückgegeben. Als du erklärtest, weshalb ich um Teles nicht weinen konnte. Du hast mir geholfen, mich selbst zu verstehen. Dafür danke ich dir.«
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange, wie sie das schon einmal getan hatte. Doch diesmal entzog sie sich nicht seiner Umarmung, als er sie an sich drückte. Eine lange Zeit blieben sie aneinandergeschmiegt in der Kapelle stehen. Friede umfing Gerswind, die innere Unruhe der vergangenen Stunden, die ganze Aufregung, lagen in weiter Ferne. Sie dachte nichts weiter als hier gehöre ich hin. Eine seltsame Kraft strömte von Karl auf sie über, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich gänzlich geborgen.
    Es war völlig selbstverständlich, daß sie der König nach einer kleinen Ewigkeit an der Hand nahm und schweigend aus der Kapelle hinausführte. Kein Wort fiel, als sie Hand in Hand durch den langen Gang zu den Wohngemächern schritten, und als der König die Tür zu seiner Kammer aufstieß, ging Gerswind wie selbstverständlich hinein.
    Behutsam, als wäre sie zerbrechlich, nahm Karl sie wieder in die Arme. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, und als seine Lippen ihre berührten, schien die Welt um sie herum ausgelöscht; es gab nur noch Karl und sie. Sanft strich ihr der König über die Brust.
    Gerswind legte ihre Hände auf seine und bedachte ihn mit einem Blick, den er, der so tief in die Seele vieler Frauen geschaut hatte, nicht ergründen konnte. Wehmut spiegelte sich darin, Stolz, Entschlossenheit und noch etwas, das er nicht recht deuten konnte, das ihn aber irgendwie an Hunger erinnerte. Er machte sich darauf gefaßt, daß sie jetzt von ihm abrücken und aus dem Zimmer huschen würde.
    »Ich will nicht …«, begann er, doch sie legte ihm einen Finger auf den Mund und löste sich von ihm.
    »Aber ich will«, flüsterte sie.
    Er sah ihr staunend zu, als sie ohne das geringste Zögern ihr Kleid zusammen mit ihrer Kette, an der ein Ring hing, über den Kopf zog und alles zu Boden fallen ließ. Ein Zittern lief durch seinen Leib, als er das schöne, stolze Mädchen nackt vor sich sah. Über Brüste, Bauch und Oberschenkel tanzten im schwachen Schimmer zweier Öllämpchen seltsame Schatten, die das Mädchen fast unwirklich erscheinen ließen.
    »Sag mir, daß du keine Fee bist, kein Geist«, flüsterte Karl, als er Hemd und Hose aus Leinen ablegte und flink die Bänder von den Waden wickelte. »Sag mir, daß du bleibst und dich nicht auflöst, wenn ich dich berühre.« Seine Stimme war dunkler als sonst, und jede Silbe berührte Gerswind tief in ihrem Inneren.
    »Ich bleibe«, sagte sie leise, aber mit fester Stimme.
    Als sich das erste Licht des Morgengrauens durch die schmale Fensteröffnung in die Kammer stahl, wußte sie jedoch, daß sie nicht länger bleiben konnte. Sie sah auf den Mann, der neben ihr mit leicht geöffnetem Mund fest schlief, und fuhr

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