Die bezaubernde Arabella
Lady Bridlington eine Szene vor dem Soho-Markt vergessen, wo sie und Arabella einen schweren Lastwagen gesehen hatten, nur mit einer einzigen elenden Mähre bespannt, die sich zwischen den Deichseln unter einer Flut von Peitschenschlägen abmühte, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. In einer Sekunde war die junge Dame an Lady Bridlingtons Seite ein schüchternes Kind, in der nächsten eine Furie, die aufstampfend dem verblüfften Kutscher befahl, sofort – aber sofort! – vom Wagen zu klettern und sich nicht zu unterstehen, noch einmal die Peitsche zu schwingen. Er kam heruntergeklettert, ganz betroffen, und stand, ein Riesenkerl, vor der kleinen Furie, über sie gebeugt, während sie auf ihn loszischte. Als er seinen Witz wiedergefunden hatte, versuchte er sich zu rechtfertigen, doch gelang es ihm keineswegs, die junge Dame zu beruhigen. Solch ein grausames Scheusal war einfach unwürdig, mit der Lenkung eines Pferdes betraut zu werden, und ein dummer Tölpel war er obendrein, wenn er nicht bemerkte, daß eines der Räder, offenbar infolge seiner schlechten Kutschierkünste, festgeklemmt war. Nun wurde er ärgerlich, schimpfte auf Arabella los, aber da kamen ein paar Lastfahrer, ihren leeren Wagen im Stich lassend, über die Straße, machten sich in derben schottischen Lauten anheischig, der Dame beizustehen, und wollten wissen, ob der Kutscher vielleicht den Kopf zurechtgesetzt brauche. Und sie wären ganz die Leute, einer Flasche den Kork zu ziehen! Lady Bridlington stand tödlich erstarrt im Eingang des Kaufhauses und empfand nichts als Dankbarkeit, daß kein Bekannter in der Nähe war, dieser gräßlichen Szene beizuwohnen. Arabella versicherte den Lastfahrern, daß sie keine Prügelei wünsche, zeigte dem Kutscher die Stelle, an der sich das Hinterrad festgeklemmt hatte, trat dann zu dem Pferd und begann es zu tätscheln. Die Lastfahrer griffen energisch zu; so brauchte Arabella dem Kutscher nur noch in Kürze auseinanderzusetzen, wie närrisch und ungerecht es wäre, sich Tieren gegenüber gehen zu lassen, dann trat sie zu ihrer Patin und sagte gelassen: »Es ist meist nur Gedankenlosigkeit, weiter nichts.«
Sie sagte zwar nachher, als sie auf das Ungebührliche ihres Benehmens hingewiesen wurde, daß es ihr leid täte, dem Publikum ein Schauspiel geboten zu haben, doch empfand sie offenbar nicht die geringste Reue. Ihr Vater, so sagte sie, hätte es geradezu für ihre Pflicht gehalten, in einem solchen Fall einzugreifen.
Und keine Vorhaltungen konnten sie bewegen, ihr gänzlich ungeziemendes Betragen zwei Tage später zu bereuen. Da hatte sie in ihrem Schlafzimmer eine sehr junge Bediente mit geschwollener Backe dabei gefunden, den Kamin anzuheizen. Offenbar litt das junge Ding an Zahnschmerzen. Nun wünschte Lady Bridlington gewiß nicht, daß ihre Dienstboten sich mit Zahnschmerzen abquälten; zweifellos hätte sie das Mädchen bei der ersten passenden Gelegenheit zum Zahnziehen geschickt. Es gehört zu den Pflichten einer guten Hausfrau, auch das leibliche Befinden ihres Personals im Auge zu behalten. In der Tat hatte sie einige Jahre vorher, als die Kuhpockenimpfung in Mode kam, all ihre Dienstleute in Bridlington und die meisten ihrer Pächter eigenhändig geimpft. Das hatten viele Damen so getan: es war geradezu eine Mode gewesen. Die Leidende aber in den Lehnstuhl im Gästezimmer zu nötigen, ihr einen Schal aus indischer Seide umzuwickeln, die Dame des Hauses in der geheiligten Stunde des Nachmittagsschlafes aufzuschrecken, und Laudanum von ihr zu verlangen, das hieß das Wohlwollen zu weit treiben. Lady Bridlington versuchte Arabella zur Vernunft zu rufen, aber da sprach sie zu tauben Ohren.
»Das arme Ding leidet entsetzliche Qualen!«
»Unsinn, mein Liebes! Du darfst dich nicht irreführen lassen. Personen ihrer Klasse machen immer von nichts weiß Gott was her. Sie mag sich morgen den Zahn ziehen lassen, wenn hier nichts für sie zu tun ist, und dann – » »Aber auf mein Wort, so kann sie nicht den Kohleneimer die Treppe hinauf- und hinuntertragen! Sie sollte Laudanum nehmen und sich aufs Bett legen.«
»Schön, meinetwegen«, entschied Ihre Ladyschaft und unterwarf sich dem stärkeren Willen. »Trotzdem ist das kein Grund, so aus der Fassung zu geraten! Und man bittet nicht eine der Hilfsmägde, sich in seinen Stuhl zu setzen, und gibt ihr einen seiner besten Schals – »
»Ich habe ihn ihr ja nur geliehen. Sie ist vom Lande, und mir scheint, daß die andern sie ein wenig
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