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Die bezaubernde Arabella

Die bezaubernde Arabella

Titel: Die bezaubernde Arabella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgette Heyer
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näherte sich dem Eindringling. Der hob instinktiv abwehrend den Arm und duckte sich. Es war ein Knabe in erbärmlichen Lumpen, und Arabella bemerkte jetzt, daß die Ränder seiner ausgefransten Kleider versengt, seine dürren Beine und nackten Füße grausam verbrannt waren. Sie kniete neben ihm nieder und rief mitleidig: »Ach, du armes Kerlchen, wie hast du dich zugerichtet!«
    Er ließ den abwehrend erhobenen Arm sinken, beobachtete sie aber immer noch argwöhnisch. »Das hat Grimsby getan.«
    Ihr blieb der Atem stehen. »Was?«
    »Ich hab immer so Angst, in den Kamin hinaufzuklettern. Es sind oft Ratten darin, solche große, wilde.«
    Sie erschauerte. »Und er zwingt dich dazu – so?«
    »Das tun die alle«, sagte der Knabe, der das Leben so hinnahm, wie er es vorfand.
    Sie streckte ihre Hand aus. »Laß sehen! Ich tue dir nicht weh.«
    Er sah scheu aus, schien aber dann zu ahnen, daß sie vielleicht die Wahrheit sprach, und ließ zu, daß sie einen seiner Füße in die Hände nahm. Es verwunderte ihn, daß Tränen in ihre Augen traten, denn seine Erfahrungen mit dem sanfteren Geschlecht hatten ihn gelehrt, daß es eher geneigt war, einen Knaben mit dem Besenstiel zu traktieren, als über ihn zu schluchzen.
    »Armer Kleiner«, brachte Arabella mühsam hervor. »Und so mager! Sicher bist du halb verhungert!«
    »Ich habe immer Hunger.«
    »Und kalt auch! Kein Wunder, in solchen Fetzen! Es ist schändlich, einfach schändlich!« Sie sprang auf, griff nach der Glocke, die neben dem Kamin hing, und schellte heftig.
    Der Knabe begann wieder zu schluchzen. »Grimsby schlägt mich tot! Ich will gehen!«
    »Er wird dir kein Haar krümmen«, versprach Arabella, ihre Wangen brannten, und aus ihren Augen sprühte durch die verhaltenen Tränen das Feuer.
    Jetzt kam der Knabe zu dem Schluß, daß sie nicht ganz bei Trost wäre. »Oh, was wissen Sie denn von Grimsby«, sagte er bitter. »Und von ihr. Die hat mir schon eine Rippe gebrochen, die.«
    »Das wird nicht mehr geschehen, mein Junge«, sagte Arabella und zog eine Schublade im Kasten auf. Sie zog einen weichen Schal heraus, den sie nicht mehr benützt, seit sie damit die Zahnschmerzen des Zimmermädchens gelindert, legte ihn dem Knaben um die Schultern und sagte begütigend: »Da, jetzt wickeln wir dich ein, bis wir erst einmal Feuer haben! Ist es jetzt besser, kleiner Mann? So, und jetzt setz dich in diesen Stuhl, und dann sollst du gleich etwas zu essen haben.«
    Er ließ sich in den Lehnstuhl drängen, doch sprach so viel Argwohn und Schrecken aus seinem Blick, daß Arabellas Herz sich zusammenzog. Sie strich ihm sanft das Haar aus der Stirn und sagte beruhigend: »Vor mir mußt du keine Angst haben. Ich verspreche es dir, ich tue dir nichts, erlaube auch nicht, daß dein Meister dir etwas tut. Wie ist dein Name, mein Kleiner?«
    »Jimmy.« Er hielt den Schal fest und starrte sie immer noch ängstlich an.
    »Und wie alt bist du?«
    Darauf wußte er keine Antwort, war offenbar darüber nicht informiert. Sie schätzte ihn auf sieben oder acht Jahre, doch war er so unterernährt, daß er möglicherweise auch älter sein konnte. Während sie wartete, daß das Zimmermädchen auf ihr Glockenzeichen hereinkäme, stellte sie noch einige Fragen an den Knaben. Ob er Eltern hatte, schien er nicht zu wissen, deutete an, daß er ein Waisenknabe und früher von der Pfarre betreut worden sei. Als er sah, daß sie das bedrückte, versuchte er sie mit der Behauptung einer Mrs. Balham zu trösten, er wäre ein Kind der Liebe. Offenbar hatte diese Mrs. Balham ihn aufgezogen, bis er in die Hände seines jetzigen Besitzers übergegangen war. Über Mrs. Balhams Besonderheiten befragt, erklärte er, daß sie viel für Wacholderschnaps übrig habe und einen halb tot schlagen konnte, wenn sie unter dem Einfluß dieses Stimulans stand. Arabella kannte den Ausdruck Jackey für Wacholder nicht, erriet aber, daß es sich um ein starkes Getränk handelte. Sie stellte weitere Fragen, und im Ausmaß, in dem der Knabe Vertrauen zu ihr faßte, brachte er, als wären diese Dinge höchst selbstverständlich, Einzelheiten aus dem Leben eines Kaminfegerjungen zutage, die ihr das Blut aus den Wangen trieb. Fast stolz erwähnte er die Brutalität eines Gehilfen Grimsbys, Molys’, eines Oberkehrers, der vor einiger Zeit zu zwei Jahren verurteilt worden war, weil er den Tod seines sechsjährigen Sklaven verschuldet hatte.
    »Zwei Jahre!« seufzte Arabella, die über den so harmlos vorgebrachten Bericht

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