Die bezaubernde Rivalin
Annäherungsversuch als Kuss zu bezeichnen. Es war nicht mehr gewesen als ein Hauch auf ihren Lippen – auf jeden Fall nicht
viel
mehr. Zumindest nichts, bei dem einem heiß wurde. Aber wieso war ihr dann so warm?
Mit der Hand fuhr sie sich über die Stirn und dann über den Nacken. Man hätte fast meinen können, sie hätte gerade einen Dauerlauf hinter sich gebracht. Außerdem fühlten sich ihre Lippen ganz geschwollen an, wie früher, wenn sie als Teenager im Kino geknutscht hatte.
Wie war das nur möglich? Was hatten diese Farraday-Männer an sich, was andere nicht besaßen? Erst erlag Romana und dann Flora ihrem Charme, und jetzt ließ sie, India, Jordan einfach so in ihr Apartment und gestattete ihm Freiheiten, die sich kaum ein anderer Mann herausgenommen hätte. Brauchten die Farradays eine Frau nur zu berühren, damit sie sich in sie verliebte?
Denn es musste schon Liebe sein, was Romana und Flora vor den Hochzeitsaltar gebracht hatte. Und sie, India, würde sie heiraten, um das Warenhaus zu behalten? Immerhin war sie einen Augenblick bereit gewesen, sich Jordan hinzugeben. Etwa aus Liebe?
Als die Kätzchen miauten, nahm India eines aus dem Karton und hielt es auf Augenhöhe. Am Anfang war sie viel zu besorgt gewesen, um sich zu überlegen, warum Jordan die Kleinen zu ihr gebracht hatte. Aber jetzt wurde es ihr auf einmal klar, und sie sagte zu dem Tierchen: „In Wirklichkeit bist du gar kein Katzenbaby, sondern ein Trojanisches Pferd.“
Währenddessen saß Jordan in seinem Wagen und war so erregt, dass er nicht gleich losfahren konnte. Nach nur einem Tag an India Claibournes Seite wusste er schon nicht mehr, wohin mit seiner Lust. Christine hatte recht gehabt: Wenn er nicht aufpasste, würde er nach einer Beschattungswoche vor India auf den Knien liegen, um ihre Hand anhalten und auch noch froh darüber sein.
India hatte einige Telefonate geführt, um sicherzustellen, dass die Kätzchen am nächsten Tag versorgt waren. Jetzt nahm sie die alten Ordner ihres Vaters mit ins Schlafzimmer und setzte sich ins Bett. Doch während sie die schier endlose Korrespondenz zwischen ihrem Vater und den Anwälten der Farradays durchblätterte, wurden ihr die Augenlider immer schwerer. Irgendwann war sie viel zu müde, um noch etwas von dem Anwaltsjargon zu verstehen. Aber es klang beinah so, als hätte Kitty Farraday damals nach dem Tod ihres Vaters darum gekämpft, den Vorstandsvorsitz zu behalten.
Ein besonders schwerer Ordner glitt India schließlich vom Schoß und ließ sie beim Aufprall zusammenzucken. Erst da bemerkte sie, dass sie eingeschlafen war. Als sie die Unterlagen zusammensuchte, fiel ihr ein in der Mitte gefalteter, leicht vergilbter Briefbogen in die Hände. Das Schreiben enthielt keinen Adressaten und keine Unterschrift. Warum nicht, wurde ihr bewusst, als sie es las.
Da ich den Brief nicht gesehen habe, kann ich Ihnen auch nicht sagen, ob der Inhalt notariell beglaubigt ist. Ich kann Sie allerdings nur warnen, die Einzelheiten offenzulegen. Womöglich treten irgendwann Umstände auf, die es notwendig machen, die Vertragsklausel bezüglich des goldenen Aktienanteils für nichtig erklären zu lassen. Ich würde Ihnen raten, den Brief geheim zu halten.
Brief? Was denn für ein Brief? Verwundert runzelte India die Stirn und ging noch einmal den ganzen Ordner durch. Diesmal war sie dabei hellwach, fand aber nichts. Doch irgendwann musste es einen Brief gegeben haben, der die Regelung mit dem goldenen Aktienanteil infrage stellte. Wenn er noch existierte, brauchte sie ihn nur zu finden.
Kurz vor acht Uhr am nächsten Morgen lenkte Jordan seinen Wagen auf den ihm zugewiesenen Parkplatz in der C & F-Tiefgarage. Nachdem er ohnehin nicht hatte schlafen können, war er schon im Büro in der City gewesen. Wenn man sich von unerfüllbaren Sehnsüchten ablenken wollte, gab es nichts Besseres, als zu arbeiten. Schließlich brauchte er einen klaren Kopf, wenn er India Claibourne verführen und ihr dann den Vorstandsvorsitz entreißen wollte, ohne dass er selbst sein Herz verlor.
Ihren Wagen konnte er jetzt allerdings nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich hatte India verschlafen, weil sie von den Katzenbabys die ganze Nacht auf Trab gehalten worden war. Unter anderen Umständen hätte er es sich nicht nehmen lassen, einen Weckanruf bei ihr zu starten und sie an ihre Unzulänglichkeiten zu erinnern. Aber er wusste, dass er jetzt lieber neben ihr im Bett gelegen hätte, um zuzusehen, wie sie wach wurde und ihn
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