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Die Bibel für Eilige

Titel: Die Bibel für Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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dich wird berichtet. Nichts
     Menschliches sei dir fremd. Du bist gemeint. Du bist gefragt. Du bist aufgefordert. Du bist betroffen.
    Du bist erledigt. Du bist aufgehoben. »Steh auf! Wandle vor mir und sei ganz!« – das ist Abraham gesagt. Das ist dir gesagt.
     Lass es dir gesagt sein.
    Du bist Adam. Du bist Eva. Du bist Kain. Du bist Abel. Du bist Abraham. Du bist Joseph. Du bist Sara, Rebekka – und Lea und
     Rahel. Du bist es. Und du bist es nicht. Aber: Um dich geht es. Steig in deinen Brunnen. Halte es aus. Und schöpfe und trinke.
     Und wälze den Stein wieder vor den Brunnen, dass er nicht verunreinigt werde.
     
    Die Bibel als Literatur und viel mehr als das! Aber was ist größer als Literatur, als verdichtete Wirklichkeit, die ihre angemessene
     Sprachform für die angesprochene Wirklichkeit gefunden hat, die, heute gelesen, morgen schon wieder etwas anderes bedeutet,
     heute verschlossen ist, morgen sich ganz offenbart – wieder und wieder gelesen, nie Überdruss provoziert, sondern neue Erkenntnisse
     eröffnet? Zwischen Zustimmung und Protest, Ehrfurcht und Fluch, Jubel und Ratlosigkeit, Spaß an der Form und Freude an der
     Erkenntnis. Selbst dort, wo es bitter, einfach nur bitter ist. In den so genannten Urgeschichten – Genesis 1–11 – sind alle
     Menschheitsfragen gebündelt – unsere Fragen, unsere Erfahrungen, unsere Einbrüche, unsere Anfänge, wieder und wieder.
    |51| Das Grundmuster der an den Anfang gesetzten Geschichten von Genesis 2 bis 11 (die Theologen nennen sie die Schriften des
Jahwisten
, weil für den Namen Gottes das Wort Jahwe verwendet wird, verwoben schon mit Schriften des
Elohist en
, so genannt, weil sie für Gott das Wort Elohim benutzen und der dritten Quelle, der so genannten
Priesterschrift
, aus der der so genannte erste Schöpfungsbericht in Genesis 1 stammt) – Versuche, auf die Warum-Fragen eine Antwort zu geben.
     Ätiologische Sagen, von aitos, griechisch: Ursache, Grund. Warum schämt sich der Mensch, warum kriecht die Schlange? Warum
     ist die Geburt so schmerzhaft?
    Sie berichten von großer Schuld und noch größerer Gnade, von Versuchung, Verschuldung, Strafe. Doch der Schuldige darf weiterleben.
     Das Spiel ist nicht aus. Aber es wird nie wieder unschuldig. Vor der Wahrheit erschrecken, ihr aber nicht ausweichen. Der
     Mensch kann von Gnade aus handeln, aber nicht auf Gnade hin. Es gibt Antworten, aber nicht auf alles eine Antwort. Es bleibt
     ein Rest. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern erneutes Fragen, Bitten, Lauschen, Flehen, Betteln, Protestieren, Singen.
    1000 Jahre ante Christum aufgeschrieben: Was »Am Anfang« war – oder muss es nicht heißen: »Im Anfang«? – da schuf ER Himmel
     und Erde. – Ist das
so
wichtig? Ein einziges Wort – »Im« oder »Am«. Augustinus hat das in seinen »Bekenntnissen« seitenlang eindrücklich ausgeführt.
    Himmel und Erde. Seitdem geht es immer um Gott und die Welt, Oben und Unten, Begrenztes und Unbegrenztes, Freiheit und Ordnung,
     das Sein und das Nichts, den Tod und das Leben.
    Und ist der, der die Welt schuf, ein Künstler, oder ein Handwerker, der ein Ding machte, das bloß funktioniert, mit einigen
     Kinderkrankheiten und nicht mehr behebbaren Mängeln? Aber immerhin: Rose und Schmetterling, Delphin |52| und Diamant, Nachtigall und Caruso, Spinnennetz im Morgennebel und Dom zu Speyer bei Sonnenuntergang.
     
    Wer das bloß Faktische sucht, wo es um das Existenzielle geht, geht in die Irre. Die Widersprüche des Lebens werden – auch
     in manch wunderlichen Geschichten – eingefangen, aber der Mensch bleibt aufgefangen, trotz der Widersprüche, die er – so schmerzhaft
     wie herausfordernd – erlebt, und: trotz des Widerspruchs, der er selbst ist. Ein Engel in ihm und ein Teufel. (Luther bringt
     das in seinem Morgensegen gebündelt zur Sprache: »Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir
     finde.«)
    Diese Schrift beim Wort nehmen – Wort für Wort lesen. Wer sie wörtlich nehmen wollte, müsste seinen Verstand aufgeben, in
     frommer Einfalt oder fundamentalistischer Borniertheit. Oder er erklärt zum »Märchen«, was er nicht versteht. Beide sind sie
     je auf ihre Art dumm.
     
    Geschichten verdichten Geschichte. Sie berichten nicht, wie es gewesen ist, sondern, was geschehen ist und was geschieht mit
     dem Menschen: in seiner Beziehung zu sich, zum anderen, zur Dingwelt, zu der zur Dingwelt gemachten Schöpfung, die entgöttert
     wird,
damit
sie Ding werden

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