Die Bibel für Eilige
und Ergebung«. Authentizität bringt die Autorität – gerade das Persönliche wird das Übertragbare, nicht das Abstrakte. Das
Persönliche ist etwas anderes als das Private!
Mir scheint, eine adäquate Redeform des Glaubens ist der Brief – nicht die theologische Dogmatik, nicht die abstrakte Erörterung,
nicht der Katechismus. Es ist die Anrede, die persönliche Redeweise, wo einer mit Namen angesprochen wird und mit einer Grußform
am Schluss verabschiedet wird. Briefe sagen nicht nur etwas von Menschen, Briefe sind wie Menschen – einmalig. Und jeder Mensch
ist ein Brief. Jeder trägt eine Botschaft mit sich, eine einmalige. Und es liegt in der Natur des Menschen, sich mitzuteilen,
einem anderen etwas mitzuteilen. Ein Brief bringt eine Sache mit einer Person (oder mit mehreren Personen) zusammen, wobei
der Absender etwas
von
sich selber oder gar
sich
selber ganz zeigt – oder aber sich im Gegenteil so verbirgt, dass das Unausgesprochene beredt wird. Schon Anrede und Schlussformel
sagen fast alles über die Beziehung von Absender und Adressat.
»Am Anfang war das Wort. Und das Wort wurde Mensch.« So beginnt der berühmte Prolog im Johannes-Evangelium. Das Wort, der
Logos, das Abstraktum wurde Mensch. Man könnte dem Sinne nach auch so übersetzen: »Das Wort wurde Beziehung.« »Das Wort wurde
Kommunikation.« »Das Wort wurde Anrede.« »Das Wort erschien in einem Du.«
Insofern ist der jahrhundertelange Versuch der Theologen, aus den Briefen des Apostels Paulus eine theologische |183| Lehre herauszudestillieren, zwar verständlich, ist aber stets substanziell viel weniger als das, was die Briefe an komplexer
Wirklichkeit transportieren. Theologie als Brief! Paulus selbst schrieb im 2. Korintherbrief, Kapitel 3, Vers 2:
»Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen!
Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte,
sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.
…
Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.«
Paulus versteht sich als ein »Haushalter über Gottes Geheimnisse« (1. Korinther 4,1) und weiß, dass wir den »Schatz in irdenen
Gefäßen« haben. (2. Korinther 4,7) Wohlgemerkt: Er sagt nicht: Wir haben ihn
nur
in irdenen Gefäßen, sondern wir haben ihn in irdenen Gefäßen – in der ganzen Zerbrechlichkeit, Ambivalenz und Alltäglichkeit.
So kann er denn einschärfen:
»Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.« (Römer
12, 16b)
Der Mensch ist wichtig genommen, aber er soll sich nicht (zu) wichtig nehmen. Durchgängig in seinen Briefen die Mahnung: sich
nicht aufzuplustern, nicht mehr von sich zu halten, als es sich gebührt, nicht zänkisch die Autorität zu betonen oder mit
einer bestimmten Begabung zu prahlen. Jeder tue das Seine – das, was ihm zugewiesen ist, wo seine Begabung liegt. (Im Deutschen
wird dieser innere Zusammenhang wunderbar klar: In dem Wort »Begabung« steckt die Gabe – das, was einem Menschen mitgegeben
ist –, von der er lebt und aus der er etwas machen kann.) Niemand rühme sich selbst, und er personalisiere die Botschaft nicht
auf bestimmte Autoritäten, ob auf Paulus, Apollos, Petrus.
Einen anderen Grund kann und soll niemand legen als |184| den, der gelegt ist: Jesus Christus. Und genau dies ist es, wogegen auch Martin Luther polemisierte: gegen Aufplusterungen
des Papsttums und die Selbstbeweihräucherung der Kirche, dieser ecclesia triumphans, die sich von Christus selbst ganz entfernt
und in all ihrem Pomp an dessen Stelle tritt. Als sich einige »lutherisch« nennen wollten, schrieb Luther: »Was nennt ihr
euch nach mir altem stinkendem Madensack.« Paulus hatte an die Korinther geschrieben:
»Niemand betrüge sich selbst. Welcher sich unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, dass er weise
werde.« (1. Korinther 3,18)
Schließlich ist Gott in die Niedrigkeit einer Krippe gekommen und seine Erhöhung heißt Kreuz. Gott selbst tut das, was »vor
der Welt« eine Torheit ist.
Paulus schrieb Briefe, ganz konkret in ihren Bezügen, ganz grundsätzlich in ihren Aussagen.
Was Paulus immer wieder im Innersten anficht, ist der unerquickliche Rangstreit, der sich in der christlichen Gemeinde
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