Die Bibel für Eilige
Verfolger muss geführt werden, findet Aufnahme in der christlichen Gemeinde in Damaskus. Ananias wird berufen,
Paulus zu sagen, wozu er fortan berufen ist. »… dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Name trage vor Heiden
und vor Könige und vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss, um meines Namens willen.«
Ananias legt ihm die Hand auf und sagt: »Lieber Bruder Saul … und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde
wieder sehend.« (Apostelgeschichte 9,15ff.)
Paulus lässt sich taufen – und wird der Sehende, der sehr klar Sehende, erfüllt mit dem heiligen Geist. Viele wissen noch,
noch sehr lange, wer er gewesen war: Misstrauen bleibt. Und er wirbt mit ganzem Einsatz für Jesus – wie es heißt – »mit Freimut«.
Nun wird der Verfolger der Verfolgte – von seinen jüdischen Glaubensbrüdern –, muss in einem Korb von der Stadtmauer heruntergelassen
werden, damit diejenigen Fundamentalisten ihn nicht umbringen, in deren Auftrag er selber die Christen umbringen wollte. Er
taucht in Cäsarea unter, streitet mit Gebildeten (also griechisch gebildeten Juden), bleibt bis zu seinem Lebensende unentwegt
unterwegs – der Missionar Europas. Seine Spur verliert sich in Rom, wohin er zum Prozess gebracht worden war. Oder kam er
doch noch nach Spanien? Wir wissen es nicht. Was wir von ihm wissen, erschließen wir aus seinen Briefen. Dazu kommt die biografische
Belletristik des Lukas – gut erzählt, schönes katechetisches Material, historisch von bedingtem Wert. Aber was heißt hier:
historisch von Wert?
|190| Was ist gewonnen, wenn das Damaskus-Erlebnis auf einen epileptischen Anfall zurückgeführt wird? Wenn Tiefenpsychologen sich
daran machten, die Kehrtwendung eines orthodoxen Juden zu erklären, ihn auf eine typische Renegatenpsychologie zu reduzieren?
Wie viel Erkenntnis gewinnt man, wenn man auch nur einem einzigen Satz nachsinnt!!
Der dort auf die Erde gefallene Paulus, geblendet von einem himmlischen Licht und im Mark getroffen von einer Stimme, steht
wieder auf von der Erde, »und als er seine Augen auftat, sah er nichts« (Apostelgeschichte 9,8).
Der Neu-Sehende ist zunächst der ganz Erblindete. Meister Eckhart, der große Mystiker des Mittelalters, hat diesen Satz in
einem vierfachen Sinne ausgelegt: »Mich dünkt, dass dies Wörtlein vierfachen Sinn habe. Der eine Sinn ist dieser: Als er aufstand
von der Erde, sah er mit offenen Augen nichts, und dieses Nichts war Gott: denn als er Gott sah, das nennt er ein Nichts.
Der zweite Sinn: Als er aufstand, da sah er
nichts als
Gott. Der dritte: In allen Dingen sah er nichts als Gott. Der vierte: Als er Gott sah, da sah er alle Dinge als ein Nichts.« 7
»›Paulus stand auf von der Erde, und mit offenen Augen sah er nichts.‹ Ich kann nicht sehen, was Eins ist. Er sah nichts:
das war Gott. Gott ist ein Nichts, und Gott ist ein Etwas. Was etwas ist, das ist auch nichts. Was Gott ist, das ist er ganz.
Daher sagt der erleuchtete Dionysius, wo immer er von Gott schreibt: Er ist (ein) Über-Sein, er ist (ein) Über-Leben, er ist
(ein) Über-Licht. Er legt ihm weder dies noch das bei, und er deutet (damit) an, dass er (irgend etwas) ich weiß nicht was
sei, das gar weit darüber hinaus liege. Siehst du irgend etwas oder fällt irgend etwas in dein Erkennen, so ist das Gott nicht;
eben deshalb nicht, weil er weder dies noch das ist. Wer sagt, Gott sei hier oder dort, dem glaubet nicht. Das Licht, das
Gott ist, das leuchtet in der Finsternis |191| (Joh. 1,5). Gott ist ein wahres Licht: wer das sehen soll, der muss blind sein und muss Gott von allem Etwas fern halten.« 8
»›Als er nichts sah, da sah er Gott.‹ Das Licht, das Gott ist, fließt aus und verfinstert alles (andere) Licht. In jenem Licht,
in dem Paulus da sah, in dem sah er Gott, sonst nichts. Daher sagt Job: ›Er gebietet der Sonne, dass sie nicht scheine, und
hat die Sterne unter sich verschlossen wie unter einem Siegel‹ (Job. 9,7). Dadurch, dass er von jenem Licht umfangen war,
sah er sonst nichts; denn alles, was zu seiner Seele gehörte, war bekümmert und beschäftigt mit dem Lichte, das Gott ist,
sodass er sonst nichts wahrzunehmen vermochte. Und das ist uns eine gute Lehre; denn, wenn wir uns um Gott bekümmern, so sind
wir wenig von außen her bekümmert.« 9
Wer so nachdenkt, der entdeckt den tiefen Sinn, den Tiefsinn der Schrift!
Der Dramatik der
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