Die Bibel für Eilige
Gott hebt den Gefallenen auf, er geleitet den Irregewordenen.
Liebe Freunde! Ihr Rechtgläubigen und ihr Linksgläubigen, ihr Glaubenssicheren und Glaubenszweifler! Gott baut sein Reich
mit Menschen, also auch mit Versagenden und Verzagenden, mit Mutigen, die ängstlich werden, mit Selbstsicheren, die an sich
verzweifeln, mit Bekennern, die auch verraten.
Für Gott ist das Spiel nicht aus. Er fängt mit ihm, mit jedem von uns jeden Tag neu an, mit jedem, der sich auf ihn einlässt.
(Vergleiche Matthäus 26,31–75 und Matthäus 16,13–28) 15
Paulus und die Lebenswende
Paulus, der Mann, der auf den Bildern mit dem Schwert, dem Schwert des Geistes abgebildet ist, ein Eiferer, wie er im Buche
steht, der von einem scharfen Christenverfolger zum ersten |220| großen christlichen Missionar wird. Er wird vom Saulus zum Paulus – auf einer Verfolgungsfahrt geschlagen, vom Pferd gefallen,
erblindet hört er die Stimme Christi. Paulus – ein Renegat, ein Wendehals, ein Frontenwechsler im Religionskampf, ein Deserteur
des Geistes? Er kommt sofort in Konflikt mit Petrus, dem unmittelbaren Jesusjünger, der die Botschaft eng auslegt und Christsein
an die Geltung religiöser jüdischer Gesetze bindet. Paulus stellt den Glauben in größere Horizonte, setzt sich der philosophischen
Diskussion seiner Zeit aus, begibt sich auf den »Markt der Meinungen« in Athen, wird ausgelacht, ausgepeitscht, eingesperrt,
schließlich angeklagt. Auf einer Gefangenschafts-Odyssee kommt er nach Rom, wird zum Tode verurteilt. Er hat Briefe geschrieben,
die uns überliefert sind. Sie wurden wesentlicher Bestandteil des Neuen Testaments.
Man wirft ihm vor, dass er aus den schlichten Geschichten des Wanderpredigers aus Nazareth ein dogmatisches Gebäude gemacht
habe. Aber er hat doch versucht, die Bedeutung des Gekreuzigten und Auferstandenen für das weitere Geschick der Welt zu deuten,
hat den befreienden Glauben in das Gespräch mit den großen Geistern seiner Zeit einzubringen vermocht, immer wissend, dass
die Botschaft vom Kreuz für die einen eine Torheit und für die anderen ein Skandal bleibt. Doch er hat sich nirgendwann geschämt,
für sein Bekenntnis einzutreten: Jesus Kyrios! Jesus ist der Herr!
Er hat aus Geschichten Begriffe gemacht. Was wären aber die Geschichten ohne Begriffe, und was wären andererseits die Begriffe
ohne die Geschichten. So ist es gut, dass wir im Neuen Testament neben den Jesusgeschichten, die wir Evangelien nennen, die
Briefe haben, die wir Episteln nennen.
Paulus, ein recht schwieriger Mensch, mit einem sehr distanzierten Verhältnis zu den Frauen in den Gemeinden, geschult in
rabbinischem wie in griechischem Denken. Ein |221| Epileptiker, ein begeisterungsfähiger und auch ein tief enttäuschbarer, zorniger Mann. Ein Rechthaber auch, der auf den Rechthaber
Petrus trifft. Nirgendwo kann der Riss tiefer gehen als zwischen Freunden, die eigentlich
eine
Überzeugung verbindet. Aber Paulus findet im Konflikt mit Petrus die Lösungsformel. Jeder von ihnen ist für andere da. Der
eine für die Juden, die Christen geworden sind, und der andere für die Völker – »Heiden« wurden sie genannt –, die Christen
wurden. Freiheit aus der Knechtschaft von Gesetzen ist Paulus ebenso wichtig, wie er in der Liebe die Erfüllung des Glaubens
findet. Paulus – ein schwacher Mensch und ein starker Mensch, der die Gnade besingt, dessen Gipfelsätze unendlichen Trost
spenden:
Es bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe – diese drei. Die Liebe aber ist die größte unter ihnen.
(Vergleiche Apostelgeschichte 15,1–35; 17,16–33)
|222| Verse
Vater unser! Dein Reich komme
(Matthäus 6,10)
Wenn ihr betet …, dann sollt ihr so beten, sagt Jesus: »Vater unser im Himmel. Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme.«
Alles gesagt in drei Sätzen, was unsagbar ist.
Beten heißt: innerste Konzentration auf äußerste Herausforderungen, Grund-Vertrauen – auch vor Abgründen.
Wohl dem, der beten kann: »Dein Reich komme«. Weil er nicht alle Hoffnung aufgegeben hat, betet er, und weil er beten kann,
hat er nicht alle Hoffnung aufgegeben. Seine Augen sind nicht verkleistert, er sieht schon genau, was ist. Er sieht, was bedrängt.
Er kann die »Wasserstandsmeldun gen der Sintflut« lesen, aber er sieht auch, was wird und was wächst.
Es sind die kleinen Dinge des Lebens, in denen und durch die etwas aufscheint von dem, was wir erhoffen, erbitten und erstreiten.
Wer so
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