Die Bibel für Eilige
Mauern und schränkte
innen
den Atemraum ein. Es folgten schmähliche Prozesse einerseits und schmähliche Nach-Klagen der Mitgetrippelten andererseits.
Nun aber sollte es endlich losgehen: betörende Blütenträume von einem marktwirtschaftlich blühenden Land, gleich übermorgen.
Freiheit wurde zuerst Wohlstandsversprechen. So kamen viele von der Fron einer Arbeit, die wenig Sinn gab, in die Freiheit
von der Arbeit, ohne am Sinn des Ganzen teilhaben zu können. Plötzlich stehen wir vor den Zwängen der »Globalisierung« und
dem Ende des Sozialstaates, wie man sagt.
Börsen boomen, Exportzahlen explodieren – aber immer weniger Menschen werden gebraucht, fühlen sich erübrigt, zwangs-alimentiert,
aus Nürnberg. Ist das die Freiheit?
Wer bittet »Dein Reich komme«, dem geht es nicht um »mein Reich«, auch nicht um »unser« Reich, sondern um sein »Reich«, das
unsere Reiche übersteigt. Dies ist keine politische Utopie, auch keine religiöse Vertröstungsformel, sondern ein mutmachender
Unterwegssatz. »Dein Reich komme« – ein Weg, auf dem Gerechtigkeit und Friede, Wahrheit und Freiheit auf uns zukommt, und
»sein Reich« ist ein Weg, auf dem wir gehen. Wer so beten kann, ist nicht verbittert, auch nicht verbiestert in seine politischen
oder moralischen Richtigkeiten. Er bleibt so zielgewiss wie realitätsnah.
Wer sich indes anschickt, das Reich Gottes zu errichten, produziert ebenso die Hölle, wie die Ideologen vom »Reich des Menschen«
den Teufel losließen, um dem Guten nachzuhelfen. Das Reich Gottes können wir nur erbitten, erhoffen, erwarten und selber auf
das
zugehen, was auf uns zukommt. Das Reich Gottes ist etwas ganz anderes als das übliche Gefeilsche ums Geld, als die wohlstandslüsterne |226| Aufholjagd. Es ist vielmehr ein Reichtum, der aus Dankbarkeit wächst, dem Bescheidenheit nicht griesgrämige Askese ist, sondern
das Glück des Sehens, Hörens, Riechens, Fühlens, des Tätigseins. Es ist das Glück, am Verändern
und
am Bewahren beteiligt sein zu können.
»Dein Reich komme«. Wer so bittet, schaut aus, hat offene, gespannte, erwartungsvolle Augen für das, was jetzt schon wird,
trotz allem, was uns den Horizont verdüstert. Er sieht nicht darüber hinweg, aber er lässt sich nicht fatalistisch deprimieren;
sondern motivieren, auf das Erhoffte zuzugehen. Für ihn gibt es höhere Güter als die Erhöhung des Bruttosozialprodukts. Für
ein reiches Land ist das eher eine Frage der gerechteren Verteilung, sowohl von Geld als auch von Arbeit.
Wer auf das Reich hofft, wird in Konflikt kommen mit denen, deren Lebens-Träume auf Geldzuwächsen gebettet ist.
Wer betet und deshalb auch hofft, wird sich ganz konkret der Verbitterung derer annehmen, die nicht wissen, wie sie ihre Miete
bezahlen sollen und erleben müssen, wie die »Oberen« Geld machen, wie diejenigen ihr »Geld machen«, die schon Geld haben,
und wie Schamlosigkeit zur Alltäglichkeit wird …
Wer sich davon frei fühlt, das Reich Gottes auf Erden errichten zu müssen, der kann auch bescheidener sein und für sich selbst
ehrlicher. Wer den Mund zu voll nimmt mit hehren Ansprüchen und großen Versprechungen und wer sich den Mund zu voll stopft
mit allem, was er nur kriegen und ansammeln kann, wird letztlich nur Stinkendes hinterlassen.
Wir brauchen und wir können keine Engel sein; aber wir brauchen auch nicht aus der Verachtung anderer letztlich zur Selbstverachtung
zu kommen und uns gegenseitig nur noch das Ekel-Sein zugestehen. Wer auf das Reich Gottes hofft, |227| der weiß um die Liebenswürdigkeit und um die Liebesbedürftigkeit des Menschen, also um seine Erbarmungs-Würdigkeit.
»Dein Reich komme«. Wer so bittet, hält die Augen offen und sieht, welche ermutigenden Lebenszeichen aufleuchten, und behält
den Mut, sich zu bewegen, statt gebannt auf heraufziehende Katastrophen zu starren und zu erstarren. Beten ist Offensein und
Offenbleiben. Beten führt zusammen, wo alles auseinanderläuft und wo alles sich verläuft. Wer betet, hört auch auf, seine
Verdrossenheit vor sich herzutragen. Er weiß um ein Wofür und ein Wohin. Wer aber das Wofür verloren hat, sieht auch kein
Wohin mehr. Wer kein Wohin mehr hat, weiß auch nicht mehr das Wie.
Solange es die Kirche gibt, so lange gibt es auch den Streit, ob das Reich Gottes ein Jenseitstraum ist, Utopielyrik und unlebbare
Heiligenethik oder ob darin eine Veränderungs-, ja eine praktische Gestaltungskraft für das
Weitere Kostenlose Bücher