Die Bibel für Eilige
Realdarstellung Gottes konnte bloße Überhöhung
menschlicher Königsmacht sein, von der menschliche Macht abgeleitet und per se legitimiert werden konnte.
Dabei hat dieses wunderbar dunkle Wort ein unnachahmliches Flair. In religiöser Trance, in religiöser Erschütterung, ja in
letzter Angst und letzter Verzückung zugleich wird der Prophet der Einmaligkeit, der Unanschaubarkeit und Ungreifbarkeit Gottes
ansichtig und braucht dafür doch Bilder, Bilder von Traum und Trance, die sich ableiten von geschauten Bildern, erlebter Wirklichkeit,
mit dieser verschwistert, verzwittert, verschränkt, verglichen. Er wird Zeuge, wie die Seraphim Mischwesen, vielleicht geflügelte
Schlangen oder personifizierte Blitze, schwebend um den Thron Gottes herum – sich im Mehrklang und im Einklang zugleich einander
dreimalig zurufen: kadosch, kadosch, kadosch – heilig, heilig, heilig – also rein, unverletzlich, schön, vollkommen, |233| unnahbar –, was sind Worte gegen eine Erfahrung von höherem Sehen, Schweben, Träumen, Erschrecken? Verzückt und verängstigt,
angezogen und weggestoßen ist der Prophet, im Innersten aufs Äußerste erschüttert … Von tiefster Erschütterung in der Begegnung
des Menschlichen mit dem Göttlichen schreibt er. Die Seraphim preisen den Unaussprechlichen mit dem geheimnisvollen Namen
»Zebaoth«, unübersetzbar, mit umstrittener Bedeutung und interessebesetzter Bedeutsamkeit. Benutzbar geworden jeglichem. Ist
er nun Herr der judäischen und damit überhaupt der Heere? Oder ist er Herr der himmlischen Heere? Oder ist es eine abstrakte
Aussage über Gottes Mächtigkeit, die sich menschlicher Machtbilder bloß bedient, ohne sie übertragen zu können und zu dürfen?
Jedenfalls ist es ein Ganzheitserlebnis, wie auch das ganze Land, Himmel und Erde erfüllt sind von seiner Ehre, seinem Ruhm,
seinem Licht, seiner Faszination, seinem Glanz.
Ein Mensch begegnet Gott und ist aufs Tiefste erschrocken und gleichzeitig un-heimlich fasziniert. Das Unvergleichliche erscheint
im Vergleichbaren, das Unnahbare kommt fast greifbar nahe, das Unendliche erscheint in endlichen Dimensionen. Ungreifbares
ist zum Greifen nahe. Himmel und Erde berühren sich in SEINER Herrlichkeit.
Solches Erlebnis lässt sich eigentlich nicht ritualisieren und einfangen in den Beginn eines christlichen Gottesdienstes,
wie es im Protestantismus üblich geworden ist. Aber genau das bleibt die »theologische« Voraussetzung eines jeden Gottesdienstes:
zu bekennen, dass wir unreiner Lippen sind und doch Gewürdigte der Herrlichkeit des Herrn, der sich uns zeigen will. Wer aufhört,
von SEINEM Geheimnis zu sprechen und versucht, IHN in Formen und Formeln zu bannen, wird IHN nicht erreichen. Letztlich ist
es die tiefste Erschütterung, in der der Mensch Gottes ansichtig wird.
|234| Das große Preisgebet vor dem Genuss von Brot und Wein, das im Glauben zur Teilhabe an Sterben und Leben des Heilandes wird,
stimmt mit der Schlussformel ein in das Lied des Unnennbaren und des Nennbaren: »Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr
Zebaoth, voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit. Hosianna in der Höhe. Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herren.
Hosianna in der Höhe.«
Hier wird aufgenommen, was der Prophet einmalig erlebte und was Möglichkeit von Gottesbegegnung jedes Einzelnen innerhalb
seiner jeweiligen Bildwelt werden kann. Da wird seine Herrlichkeit gepriesen, die Himmel und Erde erfüllt, und gleichzeitig
wird seine Erdung gepriesen, wie er einreitet auf einem Esel, Hosianna-umjubelt, hinaufziehend ans Kreuz. So wird er begleitet
vom Schrei »Hosianna« und »Kreuzige« der Menschen. Der sich erdende Gott wird besungen mit dem unendlichen »Hosianna in der
Höhe«.
Der begeisterte Hosianna-Ruf und der schäbige Kreuzige-Schrei macht den Menschen mit unreinen Lippen offenbar, den Menschen,
in dem
ich
meine Zwei-Deutigkeit erkenne. Meine Lippen und Augen können reingemacht werden, mitten unter einem Volk von unreinen Lippen.
So gewinne ich Zugang als ein Endlicher zum Unendlichen, das als »Ka dosch «, als Glanz, Ehre, Herrlichkeit alles Leben und Sterben umhüllt.
Wer dieses »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth« mitsingen, ins Innerste aufnehmen und im Äußersten glauben kann,
der wird frei von den Preisungszwängen, die die Herren der Welt den Menschen aufzuerlegen versuchen. Wehe uns, wenn wir wieder
irdischen Herren die abgeleitete Herrlichkeit
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