Die Bibel für Eilige
nicht zuvörderst ums Erhören, sondern um mitverstehendes Anhören. Ein Mensch,
der aufhört zu beten, kommt sich selbst abhanden. Ein |230| Mensch, der in das Geheimnis des persönlichen Gebetes eintritt, wird von einem unsagbaren Zauber erfüllt.
Aber das Persönlichste findet öffentlichen Ausdruck, wo wir mitschwingen in einer Musik und mitsingen, sodass der Brustkorb
bebt, wo wir erleben, wie die Stimme es vermag, das Herz in den Kopf und das Gefühl in den Verstand zu bringen! Wer singen
und loben kann, dem wird sein Leben reicher, ohne dass er mehr dazu haben muss. Bachs Musik z. B. öffnet, weil geistlicher
Gehalt sich mit künstlerischer Genialität verbindet. Wo diese Musik auf den ästhetischen Genuss beschränkt bleibt, bleibt
das draußen, worauf es auch Bach ankam: der gesungene Glaube. Das Geistliche drängt aufs Ästhetische, vollendet sich im Künstlerischen,
weil alle wahre Kunst hilft, dem Unsagbaren näher zu kommen. Religion ohne künstlerische Durchdringung wird peinlich und hohl.
Gott von ganzem Herzen suchen
»Gott spricht: Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.«
(Jeremia 29,13)
Jeremia ist der leidenschaftlichste Gottsucher unter den Propheten, von Selbstzweifeln geplagt, erlebt er Gott wie ein »fressend
Feuer«, und er gilt als einer, der Mutlosen unglaublichen Mut macht. Er ist in erbitterten Streit und in finstere Zisternen
geworfen. Er ist sprachmächtiger Gegner der bestallten Gutredner und Weißwäscher. Allein steht er da, zu oft allein. Seine
Heilsvision, seine Hoffnungen knüpft er eng an eine Gotteserkenntnis, in der »Große« und »Kleine« Gott von selbst erkennen.
Keiner muss den anderen mehr darüber belehren und alle werden schließlich wissen, was gut ist, und was gut tut (Jeremia 31,31ff.).
|231| Gott will gesucht werden. Von ganzem Herzen. Nicht halbherzig, oberflächlich, cool. Wo Menschen am liebsten »light« leben
und dies in der Spaßwelt täglich in allen Kitschfarben angepriesen wird, hat es Gott schwer. Ein flauer Gottesglaube und fauler
Atheismus stehen sich gelangweilt gegenüber. Weder das Ja- noch das Nein-Sagen hat Leidenschaft. So unterbleibt das bohrende
Fragen nach Sinn und Ziel, Woher und Wohin, Gut und Böse, Gelingen und Versagen, Gericht und Gnade.
Wo Gott nicht gesucht wird von ganzem Herzen, da hat er es schwer. Nicht weil Gott »schwer«, sondern weil er »tief« ist. In
der Tiefe ist Wahrheit – nicht in dem, was leicht eingeht. Wer Gott von ganzem Herzen sucht, von dem lässt er sich finden.
Schon im Suchen ist Finden. Unsere Suche gleicht nicht einer Fahrt ins Blaue, sondern einem Weg nach Hause. Aber suchen müssen
wir – von ganzem Herzen. Mit aller Ausdauer, einer existenziellen und intellektuellen. Es ist wie beim »Versteckspiel«, das
Martin Buber weitererzählt:
Das Versteckspiel
Rabbi Baruchs Enkel, der Knabe Jechiel, spielte einst mit einem anderen Knaben Verstecken.
Er verbarg sich gut und wartete, dass ihn sein Gefährte suche. Als er lange gewartet hatte, kam er aus dem Versteck, aber
der andere war nirgends zu sehen. Nun merkte Jechiel, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hatte.
Darüber musste er weinen, kam weinend in die Stube seines Großvaters gelaufen und beklagte sich über den bösen Spielgenossen.
Da flossen Rabbi Baruch die Augen über und er sagte: »So spricht Gott auch: ›Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen‹.«
Das kennen wir alle aus unserer Kinderzeit: diese wunderbare Spannung des Suchens und – das lachende Glück des Findens!
|232| Der Unnahbare und seine Seraphim
»Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!«
(Jesaja 6,3)
Eingezeichnet in Geschichte: Im Todesjahr des Königs Usia sieht der Prophet den »König der Könige« – in Analogie und Unvergleichlichkeit
zugleich! – mit seinem himmlischen Hofstaat. Diese Analogie verleitete christlich-europäische Volksfrömmigkeit, Kirchenmacht
und die kirchliche Kunst (in der von Christen kurzerhand abgelegten Bilderscheu) dazu, Gott als bärtigen König darzustellen,
umgeben mit einem opulenten Hofstaat. Die visionäre Bildhaftigkeit, Nichtdarstellbarkeit und Ungreifbarkeit Gottes wurde in
Holz und Stein, auf Leinwand und im Bildband festgemacht. So wurde Gott letztlich auch als stattlicher bärtiger alter Opa
dem Gespött der ganz Intelligenten wie der ganz Dummen ausgeliefert. Solche
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