Die Bibel nach Biff
tat, genau genommen. Als der Erste unserer Verfolger hinter uns auf die Lichtung hereinbrach, sprang der Tiger auf und segelte über unsere Köpfe hinweg, anderthalbmal so hoch wie ein Mensch aufragt. Er landete auf den ersten beiden Männern, die aus dem Gras gelaufen kamen, begrub sie unter seine mächtigen Vorderpfoten und fuhr mit den Krallen über ihre Rücken, als er wieder aufsprang. Danach sah ich nur noch vereinzelt Speere gen Himmel fliegen, als die Jäger ... na ja, ihr wisst schon. Männer schrien, die Frau schrie, der Tiger schrie, und die beiden Männer, die unter den Tiger gekommen waren, kamen nun wieder auf die Beine und humpelten zum Weg zurück, schreiend.
Rumi sah vom toten Hirsch zu Josua, zu mir, zum toten Hirsch, zu Josua, und seine Augen schienen noch größer als vorher zu werden. »Ich bin tief bewegt und auf ewig dankbar für Eure Verbundenheit mit dem Tiger, aber das hier ist sein Hirsch, und es scheint, als sei er damit noch nicht fertig, so dass wir vielleicht ...«
Josua stand auf. »Geh vor.«
»Ich weiß nicht, wohin.«
»Nicht da entlang«, sagte ich und zeigte in die Richtung, aus der wir das Geschrei hörten.
Rumi führte uns durchs Gras zu einer anderen Straße, der wir bis dorthin folgten, wo er wohnte.
»Es ist ein echtes Loch.« »So schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Josua und sah sich um. In der Nähe gab es noch andere Löcher. Darin lebten Leute.
»Du wohnst in einem Loch«, sagte ich.
»He, halblang«, sagte Josua. »Er hat uns das Leben gerettet.«
»Es ist ein bescheidenes Loch, aber es ist mein Zuhause«, sagte Rumi. »Bitte macht es euch bequem.«
Ich sah mich um. Die Grube war aus Sandstein gehauen. Ihr Rand reichte einem, bis zur Schulter, wenn man in ihr stand, und war gerade groß genug, dass sich eine Kuh darin umdrehen konnte, was, wie ich noch feststellen sollte, ein entscheidendes Kriterium war. Das Loch war leer, abgesehen von einem einzelnen Stein, der mir bis ans Knie reichte.
»Setzt euch, ihr könnt den Stein nehmen«, sagte Rumi.
Josua lächelte und setzte sich darauf. Rumi setzte sich auf den Boden der Grube, der mit einer dicken Schicht schwarzen Schleims überzogen war. »Bitte. Nimm Platz«, sagte Rumi und deutete auf den Boden neben sich. »Es tut mir Leid, aber wir können uns nur einen Stein leisten.«
Ich blieb stehen. »Rumi, du lebst in einem Loch!«, erklärte ich.
»Nun ja, das stimmt. Wo leben die Unberührbaren in eurem Land?«
»Unberührbar?«
»Ja, die Untersten der Unteren. Der Abschaum der Erde. Niemand aus der höheren Kaste darf meine Existenz auch nur zur Kenntnis nehmen. Ich bin unberührbar.«
»Na, kein Wunder, du wohnst ja auch in einem beschissenen Loch.«
»Nein«, sagte Josua, »er lebt in einem Loch, weil er unberührbar ist, er ist nicht unberührbar, weil er in einem Loch wohnt. Er wäre auch unberührbar, wenn er in einem Palast wohnte, stimmt es nicht, Rumi?«
»Tja, das wird wohl kaum passieren«, sagte ich. Tut mir Leid, der Typ wohnte in einem Loch.
»Hier ist mehr Platz, seit meine Frau und die meisten meiner Kinder gestorben sind«, sagte Rumi. »Bis heute Morgen habe ich hier noch mit Vitra, meiner jüngsten Tochter, gewohnt, aber die ist jetzt auch weg. Es ist Platz genug, falls ihr bleiben möchtet.«
Josua legte seine Hand auf Rumis schmale Schulter, und ich sah, wie der Schmerz auf dem Gesicht des Unberührbaren verging wie Tau im heißen Sonnenschein. Ich stand dabei und fühlte mich erbärmlich.
»Was ist mit Vitra passiert?«, fragte Josua.
»Sie sind gekommen und haben sie geholt, die Brahmanen, als Opfer für das Fest der Kali. Ich habe nach ihr gesucht, als ich euch beide fand. Sie treiben Kinder und Männer zusammen, Verbrecher, Unberührbare und Fremde. Sie hätten euch mitgenommen, und übermorgen hätten sie eure Köpfe Kali dargeboten.«
»Also ist deine Tochter nicht tot?«, fragte ich.
»Sie werden sie am Abend des Festes bis Mitternacht gefangen halten, und sie dann gemeinsam mit den anderen Kindern auf Kalis hölzernem Elefanten schlachten.«
»Ich werde zu diesen Brahmanen gehen und deine Tochter zurückfordern«, sagte Josua.
»Sie werden dich töten«, sagte Rumi. »Vitra ist verloren, selbst dein Tiger kann sie vor der Vernichtung durch Kali nicht retten.«
»Rumi«, sagte ich. »Sieh mich an, bitte. Erkläre es mir: Brahmanen, Kali, Elefanten, alles. Ganz langsam, tu, als hätte ich keine Ahnung.«
»Als wäre dafür Phantasie vonnöten«, sagte Josua und
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