Die Bibel nach Biff
ich.
Ich suchte die Römer, die mit gelangweilten Mienen in Fünfergruppen an verschiedenen Stellen um die Menge standen, mit den Händen an den Griffen ihrer Schwerter.
Die Leiche zuckte noch einmal und hob ihren Arm. Ein Stöhnen ging durch die Menge, und ein kleiner Junge schrie. Langsam wichen die Männer zurück, und die Frauen drängten nach vorn, um zu sehen, was los war. Josua fiel auf die Knie und presste die Fäuste an seine Schläfen. Der Priester sang noch immer.
Die Leiche setzte sich auf.
Die Sänger hielten inne, und endlich wandte sich der Priester um, sah seine tote Mutter an, die ihre Beine von der Steinplatte baumeln ließ und aussah, als wollte sie sich gleich hinstellen. Der Priester taumelte rückwärts in die Menge, griff mit den Händen ins Leere, als sei dieses schreckliche Traumbild nicht mehr als nur ein Nebel.
Josua wiegte sich auf seinen Knien, und in Strömen rannen ihm die Tränen über die Wangen. Die Leiche stand auf, und obwohl sie nach wie vor vom Tuch bedeckt war, drehte sie sich um, als blickte sie in die Runde. Ich sah, dass mehrere Römer ihre Schwerter gezückt hatten. Ich sah mich um und fand den obersten Zenturio auf einem Wagen, von dem aus er den Männern Zeichen gab, die Ruhe zu bewahren. Als ich mich wieder umdrehte, merkte ich, dass die Trauernden vor Josua und mir zurückgewichen waren und wir nun ganz allein dort standen.
»Hör jetzt auf, Josh«, flüsterte ich ihm ins Ohr, doch er wiegte sich immer weiter und konzentrierte sich auf die Leiche, die eben ihren ersten Schritt tat.
Die Menge schien von der wandelnden Toten wie gebannt, aber wir waren allzu abgesondert, allzu allein mit dieser Leiche, und ich wusste, dass es nur Sekunden dauern würde, bis ihnen der betende Josua dort am Boden auffallen musste. Ich nahm ihn in den Schwitzkasten und zerrte ihn vom Leichnam fort in eine Gruppe von Männern, die klagend vor uns auswichen.
»Ist er okay?«, hörte ich an meinem Ohr, drehte mich um und sah Maggie neben mir.
»Hilf mir, ihn wegzuschaffen.«
Maggie nahm Josua beim Arm, ich nahm den anderen Arm, und wir schleppten ihn mit. Sein ganzer Leib war stocksteif wie ein Wanderstab, und unvermindert starrte er den Leichnam an.
Die tote Frau schwankte ihrem Sohn entgegen, dem Priester, der vor ihr zurückwich und seine Schriftrolle wie eine Klinge schwenkte, mit tellergroßen Augen.
Schließlich fiel die Frau in den Staub, zuckte kurz, dann lag sie still. Josua sank in unseren Armen zusammen.
»Schaffen wir ihn hier weg«, sagte ich zu Maggie. Sie nickte und half mir, ihn hinter den Wagen zu schleppen, von dem aus der Zenturio seine Truppen lenkte.
»Ist er tot?«, fragte der Zenturio.
Josua zwinkerte, als hätte man ihn eben aus tiefem Schlaf geweckt. »Das wissen wir nie so ganz genau, Herr«, sagte ich.
Der Zenturio warf seinen Kopf in den Nacken und lachte. Seine Rüstung rasselte, als seine Schultern bebten. Er war älter als die anderen Soldaten, mit grauem Haar, doch offensichtlich schlank und kräftig und vom theatralischen Getue der Menge unbeeindruckt. »Gute Antwort, Junge. Wie ist dein Name?«
»Biff, Herr. Levi bar Alphäus, den man Biff nennt, Herr. Aus Nazareth.«
»Nun, Biff, ich bin Gaius Justus Gallicus, Unterkommandant von Sephoris, und ich denke, ihr Juden solltet sichergehen, dass eure Toten tot sind, bevor ihr sie begrabt.«
»Ja, Herr«, sagte ich.
»Du, Mädchen. Du bist ein hübsches Ding. Wie heißt du?«
Ich sah, dass die Aufmerksamkeit des Römers Maggie verunsicherte. »Ich bin Maria aus Magdala, Herr.« Sie wischte Josua mit ihrem Tuch über die Stirn, als sie es sagte.
»Eines Tages wirst du jemandem das Herz brechen, was, Kleine?«
Maggie antwortete nicht. Doch ich schien wohl eine Reaktion auf die Frage gezeigt zu haben, denn wieder lachte Justus.
»Oder vielleicht hat sie es schon getan, was, Biff?«
»Das ist bei uns so üblich, Herr. Deshalb begraben wir Juden unsere Frauen lebend. So gibt es weniger gebrochene Herzen.«
Der Römer nahm seinen Helm ab und fuhr mit der Hand über sein kurzes Haar, warf Schweiß in meine Richtung. »Geht, ihr zwei, bringt euren Freund in den Schatten. Es ist zu heiß für kranke Kinder. Geht nur.«
Maggie und ich halfen Josua auf die Beine und wollten ihn wegführen, aber nach wenigen Schritten blieb Josua stehen und sah den Römer über die Schultern hinweg an. »Werdet Ihr mein Volk ermorden, wenn wir unserem Gott folgen?«, rief er.
Ich gab ihm einen Klaps an den Hinterkopf.
Weitere Kostenlose Bücher