Die Bibel Verstehen
Christus nicht nur das Evangelium, sondern auch noch die Fortsetzung des Wirkens Jesu in der Apostelgeschichte. Lukas nennt sein Buch nicht Evangelium, sondern «Erzählung». Er ist ein meisterhafter Erzähler. Ihm verdanken wir die schönsten Geschichten wie die Begegnung zwischen Maria und Elisabet (Lk 1,39–56), die Erzählung von Jesu Geburt (Lk 2,1–20) und die Erzählung von den Emmaus-Jüngern (Lk 24,13–35).
Das Anliegen des Lukas ist es, Jesu Wirken und Jesu Worte so zu erzählen, dass die Griechen davon fasziniert sind. Er versteht sich selbst als Autor, der auf dem Büchermarkt der Antike einen Bestseller schreiben möchte, der die Menschen für Jesus interessiert und sie in seine Nachfolge ruft.
In der Tradition gilt Lukas als Maler und als Arzt. Beides kann man nicht nachweisen. Doch beide Bilder haben ihre Berechtigung. Denn Lukas schreibt wie ein Maler. Er versteht die Kunst, Szenen zu schildern wie ein Gemälde. Das zeigt sich schon an der Geburtsgeschichte. Lukas verschachtelt die Geburt Johannes’ des Täufers und die Geburt Jesu zu einem Triptychon. Lukas ist ein meisterhafter Erzähler. Er hat wohl als Erster eine narrative Theologie (Theologie durch Erzählen) betrieben. Lukas gilt als Arzt, weil es ihm ein großes Anliegen ist, Jesu heilendes Wirken zu beschreiben. Manche meinen, die Heilungsgeschichten bei Lukas zeigen, dass er sich in der medizinischen Fachsprache auskannte. Auf jeden Fall benutzt Lukas öfter als alle anderen das Wort «heilen».
Lukas schildert Jesus als den Anführer zum Leben. Er lehrt uns die Kunst des gesunden Lebens. Und er geht uns selbst voraus auf dem Weg zum Leben. Jesus ist der göttliche Wanderer, der vom Himmel kommt, um mit uns Menschen zu wandern und uns immer wieder an unseren göttlichen Kern zu erinnern. Lukas ist kein Moralist. Er sieht den Menschen nicht zuerst als Sünder. Er glaubt an den göttlichen Kern des Menschen. Jesus bringt den Menschen mit seinem wahren Wesen in Berührung. Er kehrt als göttlicher Gast bei den Menschen ein und hält mit ihnen Mahl. Kein anderer Evangelist hat uns so viele Mahlzeiten berichtet wie Lukas. Beim Mahl zeigt Jesus Gottes Güte und Menschenfreundlichkeit. Und beim Mahl ist er der Lehrer, der wie die griechischen Philosophen beim Gastmahl seine wichtigsten Lehren verkündet.
Jesus wird nach dem Zeugnis des Lukas nicht nur von Jüngern begleitet, sondern auch von Frauen, die gleichberechtigte Jüngerinnen werden. Lukasglaubt, dass er von Gott nur dann richtig sprechen kann, wenn er es zugleich vom Mann und von der Frau aus tut. So stellt er oft einem Gleichnis, das von einem Mann handelt, ein Gleichnis zur Seite, in dem eine Frau die Hauptrolle spielt. So folgt dem Gleichnis vom verlorenen Schaf das Gleichnis von der verlorenen Drachme (Lk 15,4–10).
Lukas verdanken wir die ausführlichste Erzählung von der Geburt Jesu. Sein Evangelium erzählt die Geburt von der Sicht Marias her, nicht wie Matthäus von Josef aus. Maria wird für uns zum Vorbild des Glaubens. Sie lässt sich auf das Wort des Engels ein. Sie singt das schönste Loblied auf Gott, das die Kirche kennt und täglich in der Vesper von Neuem anstimmt: das Magnifikat (Lk 1,46–55): «Hochpreist meine Seele den Herrn, und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter. Denn er hat geschaut auf die Niedrigkeit seiner Magd. Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Gewaltige hat er vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht. Hungrige hat er erfüllt mit Gütern und Reiche leer davongeschickt» (Lk 1,46–48.52–53). Und sie meditiert über alles, was geschehen ist. Sie denkt darüber nach, was wohl der Sinn all dessen ist, was Gott ihr in der Geburt ihres Sohnes zugetraut hat. Auf die Geburt Jesu reagieren wieder ein Mann und eine Frau, der greise Simeon und die betagte Witwe und Prophetin Hanna.
Lukas erzählt uns Gleichnisse Jesu, die wir weder bei Markus noch bei Matthäus vorfinden. Darunterist wohl das schönste Gleichnis, das wir kennen, das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32). Es ist nicht nur schön, weil uns die Güte und Barmherzigkeit des Vaters anrührt, sondern auch weil es meisterhaft erzählt ist. In den sogenannten lukanischen Sondergleichnissen arbeitet der Autor mit dem typisch griechischen Stilmittel des inneren Monologs. Im Gleichnis vom reichen Kornbauern überlegt der Kornbauer: «Was soll ich tun?» (Lk 12,17). Ähnlich spricht der verlorene Sohn zu sich selbst oder der ungerechte Verwalter. In diesem inneren
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