Die Bibel Verstehen
Monolog formuliert Lukas die Gedanken des Lesers und bezieht sie in das Gleichnis mit ein. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn stellt Lukas die beiden Söhne nebeneinander, den jüngeren Sohn, der alles verschleudert, und den älteren, der angepasst zu Hause bleibt, aber von innerem Groll verzehrt wird. Das ist ein typisch Stilmittel des Lukas. Es sind zwei Pole in uns: das Wagemutige und das Angepasste, Mann und Frau, Licht und Dunkel, Maria und Marta, das Aktive und das Kontemplative. Es gilt, beide Pole in sich zu verbinden.
Lukas spricht sehr nüchtern über die Schuld des Menschen. Das wird deutlich im Gleichnis vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1–13). Ob wir wollen oder nicht, wir geraten in Schuld. Die Frage ist, wie wir mit unserer Schuld umgehen, ohne unsere Selbstachtung zu verlieren. Die beiden Lösungen – die Zähne zusammenzubeißen oder zu betteln und sein Leben lang im Büßerhemd herumzugehen – helfennicht weiter. Der Verwalter geht kreativ mit seiner Schuld um. Er weiß, dass er seine Schuld nicht abarbeiten kann. So setzt er auf die Beziehung zu den Menschen. Er wird Mensch unter Menschen. Weil er sich von Gott angenommen weiß, braucht er sich selbst nicht aus der menschlichen Gemeinschaft auszuschließen.
Ähnlich positiv sieht Lukas die Schuld in der Erzählung von der Sünderin, die Jesus die Füße wäscht (Lk 7,36–50). Auch diese meisterhafte Erzählung hat seit je die Menschen berührt. Die Sünderin liebt viel, weil ihr viel vergeben worden ist. Sie beschämt damit die Frommen, die zu solcher Liebe nicht fähig sind. Es geht Lukas darum, keinen aus der christlichen Gemeinschaft auszuschließen. Gerade die Sünder oder die, die als Sünder gelten, wie der Samariter (Lk 10,29–37) oder der Zöllner (Lk 18,9–14), haben oft mehr Gespür für Gott und für das Bedürfnis des Nächsten als der Priester, der Levit oder der Pharisäer. Der Oberzöllner Zachäus, der von den Frommen abgelehnt wurde, zeigt seinen guten Kern, als Jesus ihn von seinem Kompensationsbaum herunterholt und ihn bedingungslos annimmt (Lk 19,1–10).
Lukas schildert das Leiden und Sterben Jesu auf seine persönliche Weise. Jesus vergibt am Kreuz noch seinen Mördern. Er denkt an den rechten Schächer und verspricht ihm: «Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein» (Lk 23,43). Und sterbend gibt er betend seinen Geist in Gottes Hand: «Vater,in deine Hände lege ich meinen Geist» (Lk 23,46). Lukas schildert die Kreuzigung wie ein Schauspiel. «Und die ganze Volksmenge, die zu diesem Schauspiel zusammengekommen war, schlug sich an die Brust, als sie sah, was geschehen war, und kehrte zurück» (Lk 23,48).
Als Grieche kennt Lukas die Vorstellung von Opfer und Sühne nicht. Für ihn ist die Art und Weise, wie Jesus als der wahrhaft gerechte Mensch am Kreuz stirbt, Anlass genug für die Menschen, umzukehren. Das Schauen auf den Tod Jesu am Kreuz verwandelt den Menschen. In dieser Verwandlung besteht die Erlösung. In diesem Menschen sieht der Glaubende das Geheimnis Gottes. Und zugleich erkennt er darin, dass auch er durch manche Bedrängnisse hindurchgehen muss, um zur Herrlichkeit Gottes zu gelangen.
In der wunderbaren Erzählung von der Begegnung des Auferstandenen mit den Emmaus-Jüngern (Lk 24,13–35) erkennen wir, dass der Auferstandene auch mit uns geht und dort hineingeht, wo wir sind, um bei uns zu bleiben. Christus als der Auferstandene begleitet uns auf unserem Lebensweg. Und er wird für uns immer wieder erfahrbar, wenn wir gemeinsam das Brot brechen. Dann ist er unter uns. Dann bricht eigentlich er uns das Brot und erweist uns darin seine Liebe, die auch unser Herz brennen lässt.
Und Jesus deutet uns das Geheimnis unseres Lebens, unseres Unterwegsseins. Auch unser Leben muss durch manches Leid hindurch, damit wir dem Auferstandenen in die Herrlichkeit des Vaters folgen. Tod und Auferstehung Jesu ist für Lukas die Erfüllung der gesamten Heiligen Schrift. In Tod und Auferstehung Jesu wird deutlich, dass es keinen Tod mehr gibt, der uns gefangen hält, kein Grab mehr, in dem nicht das Leben ist, keine Dunkelheit, in die nicht das Licht der Auferstehung fällt, kein Gefesseltsein, das nicht schon befreit ist.
Lukas lädt uns ein, sein Evangelium meditierend zu lesen. Wir sollen die wunderbaren Bilder, die er uns mit seinem Schreiben vor Augen stellt, auf uns wirken lassen, sie in uns einbilden, dass sie die negativen Bilder aus uns vertreiben, mit denen wir das Bild Gottes in uns verstellt haben. Es
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