Die Bibel
sich genauso an jeden einzelnen Angehörigen des Volkes Gottes. Man ist sich in Israel wirklich keiner Verdienste bewusst, die Gottes Wahl als plausibel erscheinen lassen. Nur der Glaube ist vorhanden, das Vertrauen darauf, dass tatsächlich Gott es ist, der Israel ausgewählt hat.
Dass dieser Glaube ein sehr diesseitiger ist, schimmert ebenfalls in der Jakobsgeschichte durch. Jakob wächst völlig profan auf. Nur zweimal tritt Gott in sein Leben, auf seiner Flucht zu Laban und seinem Rückweg in die Heimat. In den zwanzig Jahren dazwischen geht Jakob seinen weltlichen Geschäften nach. Von Gott ist während der ganzen Zeit jedenfalls nicht die Rede.
Jakobs Geschichte spiegelt Israels Erfahrung in der Fremde. Den größten Teil seiner Geschichte musste es anderen Völkern dienen, wurde ausgenutzt wie Jakob und hoffte vergeblich auf göttlichen Beistand. Doch selbst wenn es scheint, als habe Gott sein Volk verlassen, so ist er dennoch da und wird sich, wenn er es für nötig hält, durch sein Handeln auch wieder zeigen.
«Mich tröstet der Gedanke, dass der Herr mit unfertigen Werkzeugen zu arbeiten versteht», hat der frisch gekürte Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Rede an das Volk gesagt. Auch dafür ist die Geschichte von Jakob ein Beispiel. Das Holz, aus dem der Mensch geschnitzt ist, mag so krumm sein, wie es will, der liebe Gott biegt alles wieder gerade – wenngleich sofort hinzuzufügen ist, dass der Vorrat an Gemeinsamkeiten zwischen dem schlitzohrigen Jakob und dem tugendhaften Papst begrenzt sein dürfte.
Josef und seine Brüder
Jakob lebt jetzt wieder mit seiner Sippe in Kanaan. Zwölf Söhne hat er, einer davon wird eine besondere Rolle spielen: Josef, Jakobs Lieblingssohn. Er ist das Gegenteil von seinem Vater: fromm und gottesfürchtig von Kindheit an, tüchtig, gerecht, erfolgreich. Und sogar für Frauen begehrenswert. Auch für fromme Erfolgstypen wie Josef ist Platz im Himmel. Israel stammt also nicht nur von Jakob ab, dem windigen Gesellen, der sich reumütig bekehrt. Erwählte sind sie beide, jeder auf seine Weise.
Josef, dem Lieblingssohn, hat Jakob einen teuren, bunten Leibrock schneidern lassen. Natürlich sorgt das für Verdruss bei den anderen. Einer wird bevorzugt und fühlt sich als etwas Besseres. Wieder reflektiert Israel hier sein Auserwähltsein und die Konflikte, die damit einhergehen. Wie kann Israel seinem Glauben treubleiben und dennoch in Frieden mit den anderen, «Nichterwählten», leben?
Der Hass der Nichterwählten wächst, als Josef mit scheinbar eitlen, aber hellseherischen Träumen allen auf die Nerven geht:
Siehe, wir banden Garben auf dem Feld, und siehe, da richtete sich meine Garbe auf und blieb stehen. Eure Garben aber stellten sich ringsumher und warfen sich vor meiner Garbe nieder.
Entgeistert fragen die Brüder:
Willst du etwa unser König werden? Willst du über uns herrschen?
Unbeeindruckt erzählt Josef seinen nächsten Traum:
Siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne verneigten sich vor mir.
Das geht sogar seinem Vater zu weit, der schimpft:
Sollen etwa ich und deine Mutter und deine Brüder sich vor dir verneigen?
Genauso wird es kommen, aber davon ahnen weder der Vater noch die Brüder etwas. Nicht einmal Josef selbst weiß, dass er in die Zukunft geschaut hat.
Diese Zukunft beginnt, als Jakob eine verhängnisvolle Entscheidung trifft. Er hat schon länger nichts mehr von seinen Söhnen gehört, die weit weg vom Vaterhaus die Schafe weiden. Jakob macht sich Sorgen und schickt deshalb Josef zu ihnen. Er zieht los, findet seine Brüder, und als diese ihn von weitem erkennen, beschließen sie, ihn umzubringen.
Nur einer, Ruben, möchte nicht mitmachen und sagt:
Vergießt kein Blut, werft ihn doch einfach nur in die Zisterne dort in der Wüste, aber legt nicht Hand an ihn
. Die anderen lassen sich überreden. Als Josef erscheint, ergreifen sie ihn, ziehen ihm seinen bunten Leibrock aus und werfen ihn in die Zisterne.
Ganz wohl ist den Brüdern aber nicht. Als sich von fern eine Karawane nähert, schlägt einer der Brüder vor, Josef als Sklave zu verkaufen. Die anderen sind einverstanden. Sie verkaufen Josef für 20 Silberlinge an die Ismaeliter, und mit der Karawane gelangt er nach Ägypten.
Josefs Brüder tauchen dessen Leibrock in das Blut eines geschlachtetenZiegenbocks und zeigen das blutige Kleidungsstück ihrem Vater, sodass dieser glauben muss, ein wildes Tier habe seinen Lieblingssohn zerrissen. Jakob ist tief bestürzt und ruft
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