Die Bibliothek der Schatten Roman
Schlüsseln stand ein nachdenklich dreinschauender Brillenschlumpf.
»Unser Zugang zum Fall Remer«, erklärte Jon mit einem Schulterzucken. »Ich habe vergessen, den Schlüssel abzugeben, als sie mich gefeuert haben.« Er stand auf. »Aber zuerst stell ich mich mal unter die Dusche, das wird mir guttun.«
Die Brötchen und der Kaffee taten ihre Wirkung. Jon war satt, und das Koffein hatte ihn gewaltig aufgemuntert. Als das Wasser an seinem Körper herunterlief, breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht aus, er fühlte sich so ausgeruht und glücklich wie schon lange nicht mehr. Er genoss das heiße Wasser auf seiner Haut, schloss die Augen und hielt das Gesicht in den Wasserstrahl.
Wahrscheinlich bemerkte er deswegen erst, dass Katherina ins Bad gekommen war, als sie ihre Arme von hinten um ihn schlang und ihren Körper an seinen Rücken presste. Sie war warm, wärmer als das Wasser. Er brummte genüsslich und ließ seine Hände über ihre gleiten. Sie küsste seinen Rücken und liebkoste seine Brust und seinen Bauch. Als er sich zu ihr umdrehen wollte, hielt sie ihn fest. Er ließ ihr ihren Willen und
stützte sich an der Wand ab. Ihre Hände strichen über seinen Bauch, die Hüfte und die Oberschenkel. Dann berührte sie ihn nur noch mit den Fingerspitzen, so wie sie auch die Buchrücken liebkost hatte, als Jon Katherina das erste Mal im Libri di Luca gesehen hatte. Schließlich legte sie ihm die Hände auf die Hüfte und drehte ihn zu sich um. Jon öffnete die Augen und sah sie an. Der Anblick ihrer roten Haare, der grünen Augen und der weißen Haut verschlug ihm den Atem. Er beugte sich vor und küsste ganz vorsichtig die Narbe an ihrem Kinn. Sie seufzte, und als er seinen Mund auf ihre Lippen drückte, erwiderte sie seinen Kuss.
Die folgenden 24 Stunden verbrachten sie damit, sich abwechselnd zu lieben, zu schlafen und zu essen. Alles andere vergaßen sie, nicht einmal Iversens besorgte Anfragen auf Jons Anrufbeantworter konnten ihr Interesse an der Welt dort draußen wecken. So introvertiert und scheu, wie er Katherina bisher erlebt hatte, so offen und warmherzig war sie nun, und es kam ihm mit einem Mal vollkommen unglaublich vor, dass sie vor nur zwei Wochen nichts von der Existenz des anderen geahnt hatten.
Sie wussten beide, dass sie sich nicht ewig abschotten konnten, schoben den Kontakt zur Außenwelt aber so lange wie möglich heraus und suchten ständig neue Entschuldigungen, um dieses Vakuum nicht aufzubrechen. Jon genoss es unendlich, sich mit Katherina abzukapseln, aber trotzdem beschäftigten ihn die Fragen, wie er sich draußen verhalten sollte, und wie sich seine Fähigkeiten bemerkbar machen würden. Zwar hatte Katherina gesagt, dass er in der Lage sein würde, sie zu kontrollieren, jetzt, da er sich über die Konsequenzen im Klaren war, aber das hatte ihn nicht wirklich überzeugt. Vielleicht war die Aktivierung auch eine reine Formsache gewesen. Sie hatten sorgsam vermieden, etwas zu lesen, seit er vom Bäcker zurückgekommen war, aber irgendwann würde er nicht mehr
umhinkommen, die Wohnung zu verlassen. Katherina hatte vorgeschlagen, mit überwachten Lesungen zu beginnen.
Zur Sicherheit rief sie Iversen an. Er war froh, dass es ihnen gut ging, und bestätigte sie in ihrer Meinung, dass ein wenig Training nicht schaden könnte, ehe Jon wieder auf die Menschheit losgelassen wurde.
Jon hatte noch nie in seinem Leben einen Roman gekauft. Der Bruch mit Luca hatte in ihm einen derartigen Hass auf Bücher hervorgerufen, dass er seither nur noch Fachliteratur las. Die wenigen Krimis in seinem Buchbestand, die er im hintersten Winkel des Kleiderschrankes versteckt hatte, waren Geschenke von Freunden. Nachdem Katherina die Bücher herausgeholt und vom Staub befreit hatte, erkannte sie gleich, dass sie nicht aufgeladen waren. Es war ihnen anzusehen, dass sie noch nie gelesen worden und für einen Lettore »tot« waren.
»Als Erstes musst du dich mit deinen Fähigkeiten vertraut machen«, erklärte Katherina und versuchte, ernst zu klingen. Sie lagen nackt auf Jons Bett. »Wie du bereits gemerkt hast, füllt der Text einen großen Teil deines Bewusstseins. Du wirst die Fähigkeiten nicht ignorieren können, aber du kannst lernen, sie zu dämpfen, wenn du sie nicht brauchst.«
»Und was heißt das konkret?«, fragte Jon.
»Du liest, und ich greife ein, wenn es zu heftig wird«, antwortete sie. »Das Wichtigste ist, dass du es ruhig angehst und nicht probierst, die
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