Die Bibliothek der Schatten Roman
wurde.
Katherina stieß sich am Boden ab und rollte mit dem Bürostuhl zum anderen Ende des Raumes, fort vom Fenster. Unterwegs schwang sie sich herum, so dass sie mit dem Rücken zur Scheibe saß, und duckte sich. Hinter sich hörte sie die Männer aufgeregt durcheinanderrufen.
Dann kam die Explosion.
Die Kraft schleuderte sie seitlich an die Wand und raubte ihr den Atem. Eine gewaltige Hitzewelle folgte, und ihre Lunge brannte, als sie Luft zu holen versuchte. Nach dem Knall folgte das Geräusch splitternden Glases und knisternder Funken. Sie hörte ein Stöhnen vom anderen Ende des Raumes. Alle Lampen waren verloschen. Das einzige Licht kam von den Flammen, die über die Papiere auf dem Boden und auf dem Schreibtisch leckten.
Katherinas Arme schmerzten an den Stellen, an denen die Hitze ungehindert an ihre Haut kam, doch das Tape an ihren Handgelenken war durch die Wärme so weich geworden, dass sie es jetzt problemlos abstreifen konnte. Sie riss sich den Kleber
vom Mund, tastete sich zur Tür und riss sie auf. Ehe sie den Raum verließ, sah sie noch ein letztes Mal zum Schreibtisch hinüber, an dem gerade noch Remer und Paw gesessen hatten. Die beiden lagen am Boden, aber Katherina konnte nicht erkennen, ob sie noch am Leben waren.
Draußen auf dem Flur flackerte eine einzelne Neonröhre wie ein Stroboskop und verwandelte die Szenerie in einen Albtraum. Die Metalltür der Zelle war verbeult und das Sichtfenster herausgeflogen, so dass der Rauch hinausquoll wie durch einen Schornstein. Auf dem Boden vor der Tür lag Kortmanns Chauffeur. Dort, wo sich zuvor eines seiner Augen befunden hatte, klaffte jetzt ein tiefer Krater, und das herausrinnende Blut war auf dem Boden zu einer großen Lache zusammengelaufen.
Katherina musste den Körper zur Seite schieben, um die Tür der Zelle öffnen zu können. Rauch quoll ihr entgegen, während sie hustend und mit vorgestreckten Armen in den Raum taumelte. Der eine der beiden Stühle war zu einer modernen Metallskulptur verbogen. Was vom Sitzpolster übrig war, brannte. Auf dem anderen Stuhl saß Jon.
Er hatte den Kopf gesenkt, schien aber vollkommen verschont worden zu sein von den Kräften, die den Rest des Raumes zerstört hatten. In einer Hand hielt er sogar noch immer das Buch. Katherina näherte sich langsam dem Stuhl und legte Jon die Hand auf die Schulter. Er hob den Kopf und lächelte sie angestrengt an.
»Wie war es?«
Katherina presste sich schluchzend an ihn.
»Ich bin so müde«, stöhnte er. Er konnte den Kopf kaum hochhalten.
Katherina ließ ihn los und streichelte ihm die Stirn.
»Wir müssen weg«, sagte sie. »Schaffst du das?«
»Müde«, wiederholte Jon.
Katherina versuchte, ihn auf die Beine zu ziehen, aber er
war noch immer gefesselt. Die Explosion hatte den Stuhl verschont, auf dem er saß, inklusive der Plastikstrips, mit denen er gefesselt war.
»Campelli!«, donnerte plötzlich Remers Stimme. Durch das Loch, wo sich die Scheibe befunden hatte, sahen sie eine Gestalt mit zerrissenen Kleidern und blutigem Gesicht. »Willkommen. Jetzt gehören Sie mir.«
»Lauf«, flüsterte Jon Katherina zu.
Sie zerrte an den Plastikstrips, aber sie gaben nicht nach.
Unter Mobilisierung seiner letzten Kräfte richtete Jon sich auf dem Stuhl auf.
»Du musst weglaufen«, fauchte er, benebelt vor Erschöpfung. »Sie dürfen dich nicht kriegen!«
Seine letzten Worte wurden beinahe übertönt von einem lauten Knall. Katherina zuckte zusammen. Sie hatte noch nie einen Schuss aus unmittelbarer Nähe gehört, doch sie zweifelte keine Sekunde, außerdem war Remers Körperhaltung eindeutig.
Er hielt eine Waffe in der Hand und zielte auf sie.
DREISSIG
A ngestrengt drehte Jon den Kopf in Remers Richtung. Er sah die Pistole in seiner Hand und seine blutverschmierten Zähne. Jon richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Katherina und sah die Panik in ihrem Blick.
Er hielt noch immer das Buch in der Hand. Mit einer letzten Kraftanstrengung konzentrierte er sich auf die Buchstaben auf der aufgeschlagenen Seite und las so laut, wie er vermochte. Auch wenn er zu erschöpft war, um den Text aufzuladen, den er las, war Remers Reaktion unmittelbar. Er taumelte einen Schritt zurück und hielt schützend einen Arm vor sich.
»Jetzt«, rief Jon Katherina zu, und sie rannte los. An der Tür, wo Remer sie nicht mehr sehen konnte, blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu Jon um, der ihr eindringlich zunickte. Sie bewegte sich nicht.
»Lauf!«, rief Jon
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