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Die Bibliothek der Schatten Roman

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Titel: Die Bibliothek der Schatten Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikkel Birkegaard
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jetzt spürte, schien sich in jeder Zelle seines Körpers eingenistet zu haben.
    Plötzlich fiel sein Blick auf eine Ausbeulung in der Seitentasche seiner Jacke, die er achtlos auf den Beifahrersitz geworfen hatte. An der nächsten roten Ampel schob er die Hand hinein.
    Es war ein Buch. Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.

SIEBEN
    K atherina sah dem davonfahrenden Auto nach. Iversen stand mit besorgter Miene neben ihr. So hatte sie ihn selten gesehen, obwohl sich in letzter Zeit häufiger tiefe Falten in sein sonst so freundliches Gesicht schnitten.
    Als Jons Mercedes nicht mehr zu sehen war, richtete Iversen seinen Blick auf sie.
    »Was glaubst du, ist geschehen?«
    Katherina schüttelte den Kopf.
    »Keine Ahnung.«
    »Vielleicht ist es ja wirklich nur der Stress, wie er behauptet«, mutmaßte Iversen.
    Beinahe synchron zuckten beide mit den Schultern und gingen zurück ins Geschäft, wo Paw wartete. Er thronte noch immer auf seinem Sessel und hatte die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkt.
    »Was war denn mit dem los?«, fragte er, kaum dass Iversen die Tür geschlossen hatte.
    »Nach allem, was wir ihm heute erzählt haben, ist es nicht verwunderlich, dass ihm schwindelig geworden ist«, meinte Iversen.
    »Kann der sich denn nicht einfach aus dem Laden raushalten?«
    »Paw, du vergisst, dass wir jetzt hier die Eindringlinge sind.« Iversen breitete die Arme aus. »Das Antiquariat, in dem wir uns befinden, die Bücher, die du hier siehst, der Sessel, in dem du sitzt, das gehört jetzt alles ihm.«
    »Aber das kann doch nicht wahr sein«, protestierte Paw.
»Luca hätte uns nie so verraten. Es muss doch eine Möglichkeit geben, das Testament anzufechten, es für ungültig zu erklären, was auch immer.«
    »Die Chancen dafür dürften ziemlich schlecht stehen«, erklärte Iversen nachsichtig. »Zum einen, weil an diesem Testament wirklich nichts auszusetzen ist, und zum anderen, weil ich Jons Angebot, das Antiquariat mir zu überschreiben, abgelehnt habe.«
    »Was hast du getan?«, platzte Paw hervor und sprang auf. »Bist du denn vollkommen von Sinnen?«
    Auch Katherina starrte Iversen verwundert an.
    »Ich glaube, Luca hat sich das so gewünscht, jedenfalls tief in seinem Inneren«, antwortete er, ohne die Stimme zu heben. »Welcher Vater wünscht sich nicht, sein Lebenswerk an ein Familienmitglied weiterzugeben? Ich bin mir sicher, dass Luca die Campelli-Sammlung niemals in fremde Hände gegeben hätte.« Er schwieg einen Augenblick, ehe er mit einem Seufzer hinzufügte: »Außerdem brauchen wir ihn.«
    »Hauptsache, er glaubt nicht, wir hätten ihn vergiftet oder sonst wie verhext«, sagte Katherina leise.
    Die zwei anderen sahen sie an.
    Iversen nickte zustimmend.
    »Es wäre katastrophal, wenn er sich jetzt von uns abwenden würde.«
    »Und wenn er es doch tut? Wenn er genau in diesem Augenblick den Entschluss fasst, den ganzen Laden zu verkaufen?«, fragte Paw.
    Iversen lächelte betreten. »Im Grunde genommen hat er diese Möglichkeit gar nicht. Der Rat hat bereits eine Lesung bewilligt.«
    Es wurde vollkommen still. Paw fixierte ihn, und auch Katherina starrte den alten Mann ungläubig an, doch Iversen hielt ihrem Blick stand.
    Eine Lesung war ein drastischer Schritt, und sie hatte noch
nie gehört, dass der Rat so etwas im Voraus genehmigte. Es war streng verboten, die Lettore-Fähigkeiten für anderes als die Verstärkung eines Leseerlebnisses zu nutzen. Das war der Kodex der Gesellschaft. Verstöße gegen diese Regel wurden sehr ernst genommen und hatten schwerwiegende Konsequenzen für den Schuldigen, auch wenn Katherina nicht genau wusste, wie diese aussahen. Das Überleben der Gesellschaft hing davon ab, dass die Mitglieder ihre Existenz geheim hielten, und jeder Missbrauch der Fähigkeiten erregte unweigerlich Aufsehen.
    Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen war es notwendig, die Lettore-Fähigkeiten für mehr als die Bereicherung eines Textes zu nutzen. Insbesondere dann, wenn die Gesellschaft oder die Fähigkeiten Gefahr liefen, entdeckt zu werden. In diesen Fällen genehmigte der Rat eine Lesung für die beteiligten Parteien, um diese auf andere Gedanken zu bringen.
    Der Genehmigungsprozess war höchst umständlich. Der Ablauf musste exakt dargelegt werden: wer anwesend sein würde, welches Resultat erzielt werden sollte, und unter welchem Vorwand man das Ganze veranstalten wollte. Letzteres war sehr wichtig, denn wenn das Opfer keinen plausiblen Grund erkennen konnte, warum er oder sie

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