Die Bibliothek der verlorenen Bücher
einen schmalen Band über seinen Lehrmeister Beau Brummel und freundete sich mit Charles Baudelaire, dem Dichter der »Blumen des Bösen«, an. Die wunderbaren Erzählungen aus dem Band »Les diaboliques« (»Die Teuflischen«) hätten sein künstlerischer und gesellschaftlicher Triumph werden sollen. Es war eine umfangreiche Sammlung freizügiger Geschichten über dämonische Frauen, deren wahnhafte Liebe in den Tod und ins Verderben führt. Natürlich wurde die wollüstige Darstellung von Blasphemie und Mord, Erniedrigung und Prostitution ein Skandal. Die Erstausgabe des Buches wurde 1874 beschlagnahmt, und Barbey sah sich gezwungen, sein schändliches Meisterwerk zurückzuziehen.
»Die Teuflischen« gingen zum Glück nicht gänzlich verloren. Die nächste Generation der französischen Literatur, von Léon Bloy bis Marcel Proust, feierte Barbey als Meister der Spannung und »Historiker des Bösen« – als Vorläufer der literarischen Décadence der Jahrhundertwende. Von seinen Feinden wurde Barbey hingegen als »Stammtisch-Balzac« verunglimpft. Zu Unrecht. Seine Erzählungen sind eigenartig und eigenwillig, und nur sein Leben gleicht vielleicht dem einiger exzentrischer Figuren aus der »Menschlichen Komödie«.
Dieses ungeheure Werk wäre übrigens beinahe um einige Seiten kürzer ausgefallen als geplant. Balzac, von einem wachsenden Schuldenberg niedergedrückt, bezeichnete seinen Verleger Louis Mame als Spekulanten, der ihn seit Tagen bestehle. Ohne seine Erlaubnis habe dieser sein Buch gedruckt und bereits 20000 Exemplare verkauft, ohne ihn dafür entsprechend zu entlohnen: »Ich könnte die Justiz dagegen vorgehen lassen, aber das ist meiner unwürdig. Sie nennen weder meinen Namen noch den meines Werkes; sie töten mich und schweigen, sie stehlen mir meinen Ruhm und meinen Notgroschen, mir Armen!«
Honoré de Balzac, der wie ein Wahnsinniger Tage und Nächte damit verschleuderte, seine Visionen zu Papier zu bringen, und dabei bis an die Grenzen des physisch und psychisch Möglichen ging, vernichtete am 8. August 1833 die Erstfassung des zweiten Bandes seines Romans »Der Landarzt«, nur um seinem Verleger eins auszuwischen. Louis Mame schickte daraufhin seinem Autor den Gerichtsvollzieher ins Haus. Der Streit wurde von beiden Parteien auf die Spitze getrieben, bis das Gericht entschied, dass Mame den neu zu schreibenden »Landarzt« wie verabredet und gegen den Einspruch Balzacs veröffentlichen dürfe.
Der Roman erzählt die Geschichte des Doktor Benassis, der sich nach einer unglücklichen Liebesaffäre in ein kleines Dorf zurückzieht. Dieses Dorf versucht er, seinen humanistischen Grundsätzen folgend, zu einem idealen Gemeinwesen umzuformen. Die Idee zu dem Buch geht auf Pläne des jungen Balzac zurück, eine politische Karriere auf dem Land zu beginnen. Dass dieses Projekt schon im Anfangsstadium scheiterte, muss man als Glück bezeichnen, denn wer hätte sonst die Romane der »Menschlichen Komödie« geschrieben?
Die Vernichtung eines Manuskripts aus Zorn über den Verleger ist wohl eher die Ausnahme als die Regel. So manches Werk ist dagegen den Launen des Autors zum Opfer gefallen, der sich über die endlose Aufgabe grämte, die er sich aufgebürdet hatte. »Stephen Hero« von James Joyce ist so ein Fall. Verzweifelt über seine Augenkrankheit und die drohende Erblindung, deprimiert über die fruchtlosen Verhandlungen mit verschiedenen Verlagen, gelangweilt durch den Privatunterricht, mit dem er sein Geld verdienen musste, warf James Joyce im Herbst 1904 sein zweitausend Seiten umfassendes Manuskript mit dem Titel »Stephen Hero« ins Feuer. Es handelte sich um den Versuch einer Autobiographie, einer ausufernden Beschreibung der Kindheit, Jugend und Schulzeit unter dem Druck einer strengen konservativen Moral, mit all den Schuldgefühlen, die sich fast zwangsläufig aus einer solchen Erziehung ergeben. Joyce’ spätere Frau Nora ertappte ihn zufällig dabei, wie er die Arbeit von Jahren in den offenen Kamin packte, und konnte noch etwa dreihundert Seiten retten. Die neu überarbeitete und zwangsläufig wesentlich kürzere Fassung von »Stephen Hero« erschien 1916 als »Portrait of the Artist as a Young Man«. Die Anekdote ist nicht unumstritten. Einige Literaturwissenschaftler gehen inzwischen davon aus, dass es sich bei dem verlorenen »Stephen Hero« und dem überlieferten »Portrait« um zwei verschiedene Werke handelt.
Fjodor Dostojewski verbrannte
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