Die Bibliothek der verlorenen Bücher
mündlichen Vortrags bei der Niederschrift zu erhalten.
1928 hatte Robert E. Howard einen Kurs in Buchhaltung abgeschlossen und nebenbei eine Handvoll Erzählungen verkauft. Inzwischen schien sein Kindheitstraum, freier Schriftsteller zu werden, schon weniger illusionär. Um seine Texte zu verkaufen, musste er sich allerdings den spezifischen Themen der jeweiligen Zeitschriften und Pulp-Magazine anpassen. Neben »Weird Tales«, in dem phantastische Literatur erschien, gab es eine Unmenge an Magazinen, die sich ganz bestimmten Genres – Western-, Abenteuer-, Kriegs-, Detektiv-, Erotik- und Sportgeschichten – verschrieben hatten. Um den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden, legte sich Howard nie auf ein bestimmtes Genre fest. Seine Helden sind zwar meist auf eine bestimmte Lesergruppe zugeschnitten – El Borak für die exotischen Abenteuer in »Oriental Tales«, der Seemann Steve Costigan für die Boxergeschichten in »Action Stories«, Conan und Solomon Kane für »Weird Tales« –, doch Howard vermischte die Genres, um sie mehreren Magazinen anbieten zu können.
Am eindrucksvollsten sind jene Erzählungen, in denen es den einsamen Wanderer Solomon Kane nach Afrika verschlägt. Im Laufe seiner reichlich bizarren Abenteuer wird er immer mehr zu einer mythologischen Figur, die dazu ausersehen scheint, den dunklen Kontinent von urzeitlichen Wesen und teuflischen Mächten zu befreien, die die Völker Afrikas heimsuchen und unterdrücken. In »The Hills of the Dead« kämpft er gegen mörderische Zombies, in »Wings of the Night« gegen fliegende Monster und Menschenfresser, und in »The Moon of Skulls« entdeckt er eine Kolonie der Überlebenden des untergegangenen Atlantis, die von einer bösartigen Königin beherrscht wird: »Nakari von Negari – Dämonenkönigin einer Stadt der Dämonen, vor deren Blutdurst ein halber Kontinent erzitterte.«
1932 erschien das letzte Abenteuer von Solomon Kane und das erste einer neuen phantastischen Heldenfigur. In »The Phoenix on the Sword« (»Im Zei
chen des Phönix«) tauchte zum ersten Mal ein Cimmerier namens Conan auf, der wie keine andere Figur Howards dessen Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit verkörpert. Aus einigen Conan-Geschichten spricht aber auch ein seltsam ironisches Verhältnis zu Tod und Vergänglichkeit. Conan ist ein Mann, der zwar das Leben liebt, aber dessen Endlichkeit mit einer grimmigen Heiterkeit hinnimmt. Diese Haltung entspricht wohl derjenigen des Autors, der für sich selbst kein langes Leben wünschte. Im Alter von 25 Jahren war ihm klar, dass seine besten Tage bereits hinter ihm lagen. Vor seinen Freunden sprach er freimütig über Selbstmord. Im Vergleich zur heroischen Vergangenheit seiner Phantasie erschien ihm die Gegenwart glanzlos und banal. Als seine Mutter nach langer, schwerer Krankheit ins Koma fiel, beschloss er, nicht länger am Leben zu bleiben als sie. Am 11. Juni
1936 besorgte er sich eine Pistole, setzte sich in seinen neuen Wagen, einen 1935er Chevy, und jagte sich eine Kugel in den Schädel.
Robert E. Howards Helden überlebten ihren Autor, sie wurden immer beliebter und populärer. Doch seine Sehnsucht nach wirklicher Anerkennung blieb ebenso unerfüllt wie sein Wunsch, eines Tages »große Literatur« zu schreiben. Die besten Texte seines Gesamtwerks findet man im Saal der ungeschriebenen Bücher, und seine alte Schreibmaschine steht irgendwo in unserer Bibliothek. Manchmal, nach Mitternacht, hört man in den verlassenen Korridoren ein Echo ihres barbarischen Klapperns.
Aus der Asche der Kriege
B ücher und Manuskripte, die dem Krieg zum Opfer fielen – dabei denkt man fast zwangsläufig an die bereits erwähnten Bibliotheken von Alexandria oder Sarajevo. In unserer Bibliothek der verlorenen Bücher gib es ein dunkles Gewölbe voller leerer schwarzer Regale, die an all die Bücher erinnern, deren Veröffentlichung der Krieg verhinderte, an Autoren, die er vernichtete, und an Myriaden beschriebener Seiten, die er zu Asche verwandelte. Gleich daneben gibt es einen hellen, freundlichen Saal, der die Manuskripte enthält, die meine tapferen Vorgänger aus der Asche der Kriege zu retten vermochten.
Eines der umfangreichsten Manuskripte, das im Krieg verschwand, war kein literarisches, sondern ein bibliographisches Werk: das zum Großteil unveröffentlichte Manuskript des preußischen Gesamtkatalogs, der den Bestand der preußischen Bibliotheken enthalten sollte. Das monumentale
Weitere Kostenlose Bücher