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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Ihre Lehren verknüpften Naturkunde, Dämonologie, Architektur und die Zahlenmystik der jüdischen Kabbala zu einem komplexen System, das die Geheimnisse der Schöpfung entschlüsseln sollte. Dee, der das Zeitalter der jungfräulichen Königin Elisabeth als Auferstehung und Erneuerung der mystischen Herrschaft des legendären Artus verstand, öffnete seinen Besuchern die Schatzkammern des Wissens. Er knüpfte Beziehungen zu Gelehrten aller Länder und Religionen. In der Mathematik sah er die Möglichkeit, die letzten Dinge im Himmel und auf Erden zu ergründen, um so ein neues, irdisches Paradies zu schaffen.
       Doch Dee hatte zahllose Gegner und Feinde, die seine Forschungen und rationalen Argumentationen als Teufelswerk verurteilten, meist aus dem banalen Grund, dass sie seine Erklärungen oder Formeln nicht verstanden. So gab auch Dee viele seiner Manuskripte nicht in Druck. In seiner Bibliothek waren sie hingegen jedem zugänglich, der sich für sie interessierte. Eine Liste seiner wissenschaftlichen Arbeiten veröf fentlichte er 1604 in dem Band »Discourse Apologetical«. Da die meisten dieser Texte nur als Handschrift existierten, sind lediglich einzelne Titel erhalten wie die Abhandlung über die hebräische Kabbala »Cabala Hebraicae compendiosa tabella« oder die historischen Schriften »Republicae Britannicae Synopsis« und »The Origins and Chiefe Points of our Auncient British Histories«. Die Widmung seines Hauptwerkes »Monas hieroglyphica« erwähnt zudem eine »Verteidigung des Roger Bacon«, die den Mathematiker gegen den Verdacht der Hexerei in Schutz nahm – eine offenbar gedruckte Schrift, die dennoch verschollen ist.
       John Dee, eher Universalgelehrter als Magier, galt vielen seiner Zeitgenossen wegen seiner freimütigen Beschäftigung mit okkulten, hermetischen und hebräischen Lehren als zweifelhafter Hexenmeister und Schwarzkünstler. Seit ihrer Vertreibung im Jahr 1290 wurden in England keine Juden geduldet, und die Beschäftigung mit jüdischer Mystik war – milde ausgedrückt – unpopulär, auch wenn sie, wie bei Dee, christlich umgedeutet wurde. Die Figur des gotteslästerlichen Dr. Faustus, der in Christopher Marlowes gleichnamigem Stück dem Teufel seine Seele verkauft, war eine unverhohlene Anspielung auf Dr. Dee, dessen Einfluss als Berater der Königin auf diese Weise propagandistisch untergraben werden sollte. Marlowe selbst war vermutlich ein bezahlter Agent der Jesuiten, denen die weltoffenen und grenzüberschreitenden Forschungen der Alchimisten, Okkultisten und Kabbalisten ein Dorn im Auge waren.
       Es gab aber auch andere Meinungen über den ebenso berühmten wie berüchtigten englischen Philosophen. William Shakespeare scheint ebenfalls an John Dee gedacht zu haben, als er »The Tempest« (»Der Sturm«) schrieb, jenes phantasievolle Stück über den auf eine einsame Insel verbannten Magier Prospero. Die wertvollen Bücher, die dieser ins Exil mitnimmt und auf denen sein gesamtes Wissen und seine Weisheit basieren, wären ein Fall für meinen Kollegen, den Unter-Bibliothekar, und seine geplante Abhandlung über imaginäre und wirkliche Werke der Weltliteratur, wenn sich Shakespeare nur die Mühe gemacht hätte, einige Titel zu erwähnen. Sicherlich war Prosperos Bibliothek nicht weniger umfangreich als die berühmte Sammlung John Dees. Wie Prospero verlor Dee die Gunst der Mächtigen; anders aber als Shakespeares Magier starb er in Armut und Einsamkeit.
       Ein besonders merkwürdiges Buch aus einem Gebiet, in dem sich esoterische Mythen und philosophische Ideale aus den geheimen Zirkeln, in denen Dr. Dee verkehrte, auf undurchsichtige Weise vermischen, trägt den ebenso kurzen wie rätselhaften Titel »Das Buch M«. Das Kürzel steht vielleicht für »Liber Mundi« – »Das Buch der Welt«. Wenn es denn je existierte, wäre es höchstwahrscheinlich im Haus des englischen Gelehrten oder auch auf Prosperos Insel zu finden gewesen. Mit einiger Sicherheit kann man aber davon ausgehen, dass es nur in sehr exklusiven Kreisen kursierte, denn das »Buch M« ist eines der vielen verlorenen Werke König Salomons, dessen Weisheit »die Weisheit aller Morgenländer und sogar alle Weisheit Ägyptens übertraf«. Von seinen 3000 Sprüchen blieben 513, von seinen 1005 Liedern blieb nur das Hohelied des Alten Testaments, dessen Autorschaft umstritten ist. Man sagt, in dem unzugänglichen »Buch M« seien alle Ereignisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

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