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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Brüdern, den anderen Werken Ovids, doch ihr Platz im Regal ist leer. Schließlich wird es vom Oberaufseher fortgejagt und verschwindet traurig in den dunklen Gassen der Stadt.
       Im Apollo-Saal unserer Bibliothek, in dem die verlorenen Tontafeln und Schriftrollen der alten Römer aufbewahrt werden, herrscht leider noch größeres Chaos als in den Amaria des Zenodotos-Saals, der nach dem ersten Bibliothekar von Alexandria benannt und den griechischen Schriften vorbehalten ist. Meine Kenntnisse sind zu dürftig, um für Ordnung und Übersicht zu sorgen. Zum Abschluss unseres sporadischen Ausflugs in die Antike sei aber noch der verschollene Roman »Hermagoras« erwähnt. Dessen Autor, Apulejus, ist uns durch den komischen und phantastischen Schelmenroman »Der goldene Esel« bekannt, dessen Lektüre über manch trostlose Lateinstunde hinweggeholfen hätte, wenn den griesgrämigen Oberstudienräten nur nicht so viele trockene und langweilige Texte zur Verfügung stünden. Das Buch endet nach vielen absurden, spannenden und erotischen Abenteuern etwas überraschend in einer propagandistischen Verteidigung des Isis-Kultes, woraus man vielleicht vorsichtige Schlüsse bezüglich eines zweiten Romans des Apulejus ziehen kann. Über den Inhalt seines »Hermagoras« ist freilich nichts Genaues überliefert. Möglicherweise handelt es sich auch um die Biographie des gleichnamigen griechischen Rhetors, der im 1. Jahrhundert v. Chr. in Rom lebte, aber das Buch bleibt – wie Millionen anderer Schattenschriften der Antike – bis heute ein ungelöstes Rätsel.

    Im Kellergewölbe

    D ie Millionen gedruckten Bücher, die in den Bibliotheken, Buchhandlungen und Antiquariaten dieses Planeten vergeblich auf einen Leser warten, bilden nur einen winzigen Bruchteil dessen, was in allen Sprachen und zu allen Zeiten geschrieben wurde. Der Großteil aller Texte – und die Dunkelziffer ist enorm – wurde nie veröffentlicht, nicht registriert, nicht gelesen und, im extremsten Fall, nicht einmal geschrieben. Niemand außer ihren Autoren weiß von ihrer Existenz. Jenen, die insgeheim wundersame Bücher verfassten oder erdachten, ohne dass irgendjemand davon erfuhr, ist einer der größten Säle unserer Bibliothek gewidmet. Nun ja, eigentlich ist es kein Saal, sondern ein finsteres Kellergewölbe, in das sich kaum jemand hineinwagt. Man ist dort ständig in Gefahr, von einer Papierlawine überrollt zu werden.
       Die Zahl der gescheiterten, unerkannten Schriftsteller ist derart entmutigend, dass ich nicht länger als nötig im Keller verweile, um nicht im Staub der ungezählten Manuskripte zu versinken. Man könnte jahrelang in den obskuren Nachlässen namenloser Dichter blättern, aber die reizvollsten Beispiele sind natürlich jene aus den Werken von Schriftstellern, die nicht scheiterten, sich aber dieses Schicksals durchaus bewusst waren und jenen ihre Reverenz erwiesen, die es aus vielerlei Gründen erleiden mussten.
       Honoré de Balzac war sicher kein erfolgloser Autor und konnte sich wohl kaum über die mangelnde Verbreitung seiner Bücher beklagen – wenn ihm auch seine ebenso knauserigen wie geldgierigen Verleger so manche schlaflose Nacht bescherten. In einem kleinen Absatz seines 1831 erschienenen Romans »Das Chagrinleder« erzählt er exemplarisch von dem traurigen Los derjenigen, die sich zur Erschaffung großer Werke berufen fühlen und geradezu zwangsläufig an der Gleichgültigkeit ihrer Welt und Zeit scheitern. Sein glückloser Held ist der Dandy Raphael, der soeben sein letztes Goldstück am Spieltisch verloren hat und nun entschlossen scheint, seinem nutzlosen Leben ein Ende zu setzen. Seine aussichtslose Lage wird mit folgenden Worten beschrieben: »Wie viele junge Talente finden den Weg aus ihrer Mansarde nie und gehen zugrunde, weil ihnen die Hilfe eines Freundes, einer tröstenden Frau fehlte, und lebten doch inmitten von Millionen Menschen und neben vielen her, die satt von Gold und Langeweile sind. Bedenkt man dies, erscheint ein Selbstmord ungeheuerlich. Gott allein weiß, was da an Plänen, an unvollendeten Dichtungen, was an Verzweiflung und unterdrückten Schreien, erfolglosen Versuchen und verworfenen Meisterwerken sich zwischen dem Freitod eines jungen Menschen und der fruchtbaren Hoffnung drängt, die ihn einst mit lockender Stimme nach Paris gerufen hat.«
       Balzac hat Mitleid und gibt seinem Helden eine zweite Chance. Eine wundersame Tierhaut, die Wün sche erfüllt, gerät in Raphaels

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