Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Die Bibliothek der verlorenen Bücher

Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
unbekannt. Auch ihre Bücher sind im Grunde verloren. Und wie viele Meisterwerke der Weltliteratur werden eifrig nachgedruckt und gekauft und verschenkt – und dennoch nicht gelesen. Wer hat nicht alles Goethes Gesammelte Werke im Regal stehen, wo sie dem gemeinen Bildungsbürger als Alibi oder auch nur als Dekoration dienen, ohne je gelesen zu werden. Wer hat nicht alles den »Ulysses« von James Joyce gekauft – aber wer hat dieses Buch je gelesen? Wer hat nicht alles seine Erinnerungen an die schöne Jugendzeit mühsam in Worte gefasst und einen Selbstverlag durch Zahlung unsäglicher Summen dazu gebracht, das Werk in winziger Auflage zu drucken, nur um festzustellen, dass alles vergebens war, da niemand das Ding je kaufen, geschweige denn lesen wird. Man sieht also: Weder die Veröffentlichung noch der größte literarische Ruhm schützen davor, ungelesen zu bleiben.
       Hier die Lösung: Man verweigere sich konsequent dem Literaturbetrieb, man ignoriere alle Bittschreiben der Verlagshäuser und Lektoren, die flehen, den eben vollendeten Roman veröffentlichen zu dürfen, man sage niemanden, dass man schriftstellerisch tätig ist, und wenn es sich nicht vermeiden lässt, doch etwas zu veröffentlichen, dann schreibe man »Anonymus« auf das Titelblatt oder wähle ein Pseudonym mitsamt dazugehöriger, ebenfalls frei erfundener Biographie. Der oben zitierte August Klingemann hat es uns vorgemacht. Sein Name ist nur überliefert, weil er ihn wohlweislich zurückhielt. Generationen von Literaturwissenschaftlern haben ihre geistige und körperli che Gesundheit riskiert, um herauszufinden, wer zum Teufel diese vermaledeiten »Nachtwachen« geschrieben hat.
       Aber auch dieses Buch wird dereinst – wie alle Bücher – der Vergessenheit anheimfallen.

    Autoren ohne Werk

    B ei einem Rundgang durch unsere Bibliothek stieß ich zufällig auf ein geheimnisvolles Zimmer, das keinerlei Bücher, Schriftrollen oder Tontafeln enthielt. Stattdessen fand ich Marmorbüsten, Ölgemälde und Fotografien bedeutender wie unbekannter Personen, die Schriftsteller hätten sein können, wenn sie nicht aus vielerlei Gründen vom Schreiben abgehalten worden wären.
       Über die meisten dieser Autoren ohne Werk ist so wenig bekannt, dass es fast unmöglich ist, mehr als nur den Namen zu erfahren. Aus ihren Reihen wähle ich Fowler Gifford als Beispiel. Gifford, einziger Sohn einer texanischen Bauernfamilie, hielt sich in den 1920er Jahren mit zwielichtigen Immobiliengeschäften über Wasser. Er war ein riesenhafter, wilder Kerl mit groben Zügen und einem durch Knochentuberkulose verrenkten Körper. Seine Lieblingslektüre waren die Wildwestromane Zane Greys und die Schriften der griechischen Philosophen. Diese liebte er so sehr, dass er beim Sprechen ihren Stil imitierte. Plötzlich kam ihm die Idee, Schriftsteller zu werden. »Ich kenne das Leben – ich kenne es durch und durch. Bei alldem, was ich gesehen und getan habe, könnte ich gewaltige Sachen schreiben!« Voller Begeisterung stürzte er sich in die Arbeit, schrieb eine Seite nach der anderen und zeigte sie seinen Freunden. Diese waren erstaunt über seine Leistung, machten ihn aber auf seine grauenvolle Grammatik und seine unzähligen Rechtschreibfehler aufmerksam. Nicht einmal die einfachsten Wörter waren richtig geschrieben. Betrübt gab Gifford zu, nie eine höhere Schule besucht zu haben. »Wenn ich nur schreiben könnte, was ich will!«, seufzte er und gab den Traum von einer Künstlerkarriere auf. Für seine Freunde und Bekannten, die eine noch geringere Bildung hatten, blieb er trotzdem für immer »der Schriftsteller«.
       Nur wenig bekannter als Gifford ist Joseph Joubert, dessen Leistungen in Enrique Vila-Matas wundervollem Roman »Barleby & Co.« gewürdigt werden. Joubert war ein enger Freund großer Literaten wie Diderot, Chateaubriand und Restif de la Bretonne, die ihn immer wieder ermutigten, das Buch zu schreiben, das er jahrelang plante. Zunächst suchte er den geeigneten Ort, um sein Werk zu Papier zu bringen. Als er ihn gefunden hatte, erschien er ihm so bezaubernd, dass er ans Schreiben gar nicht mehr dachte. Dann suchte er die geheimnisumwitterte Quelle, aus der alle Bücher entspringen. »Wie aber richtig suchen, wenn man nicht einmal weiß, was man sucht?«, notierte er in seinem Tagebuch, ahnte aber, dass er immer nur noch mehr Gründe finden würde, nicht zu schreiben. Gegen Ende seines Lebens beschäftigte ihn der Gedanke, welche Ziele

Weitere Kostenlose Bücher