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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Besitz. Mit jedem Wunsch schrumpft das Leder ein wenig, das Leben seines Eigentümers verkürzt sich. Man muss an dieser Stelle nicht erzählen, wie es weitergeht, denn es dürfte jedem Leser klar sein, dass der Jüngling die magische Gabe nicht verwendet, um etwas zu erschaffen oder zu vollbringen. Ihm steht der Sinn eher nach wollüstiger Verschwendung und üppigem Lebensstil.
       Der Gedanke drängt sich auf, dass die erträumten Dichtungen und Meisterwerke Raphaels niemals Gestalt angenommen hätten, auch wenn die Bedingungen günstig gewesen wären. Erfolg oder Misserfolg eines Künstlers scheinen letztlich doch ein wenig davon abzuhängen, ob er nur Luftschlösser konstruiert oder ob ihm seine Träume wichtig genug sind, um für sie zu kämpfen. Ich entferne mich an dieser Stelle sehr weit von Balzacs Roman, doch kam mir während der Lektüre der Verdacht, dass einige Autoren nicht deshalb scheiterten, weil es an Trost und Unterstützung mangelte, sondern aus einem einzigen Grund: Faulheit. Mag sein, dass auch Trägheit, Bequemlichkeit, Zerstreutheit, mangelnde Disziplin, Willensschwäche, Dekadenz, Völlerei, Nihilismus, Selbstzweifel oder Unlust eine Rolle dabei spielten. Jeder, der über fehlende Anerkennung jammert, bevor er mit der Arbeit begonnen hat, sollte die Worte des zu Lebzeiten erfolglosen Dichters Fernando Pessoa beherzigen: »Selbst wenn wir wissen, dass ein nie zustande kommendes Werk schlecht sein wird, ein nie begonnenes ist noch schlechter!«
       Der Erfolg eines Schriftstellers basiert, wie Peter Ackroyd einmal feststellte, vielleicht nur auf einer Mischung aus Beharrlichkeit und Glück. Beide Aspekte spielen jedoch erst dann eine Rolle, wenn der Künstler endlich aufhört, davon zu träumen, Künstler zu sein, und sich an die Arbeit macht. Beides, Glück und Beharrlichkeit, stößt irgendwann an eine Grenze namens Vorsehung, an einen Punkt, den man durch keine noch so große Anstrengung ändern oder beeinflussen kann, und nur an dieser Grenze sei es dem Autor gestattet, in Würde zu scheitern.
       So entdeckt der gutmütige Nachtwächter in August Klingemanns »Nachtwachen des Bonaventura« seinen Freund, den Dichter, erhängt in dessen armseliger Dachwohnung – als Strick diente die Paketschnur eines vom Verlag retournierten Manuskripts. Der Unglückliche hinterlässt ein Trauerspiel mit dem Titel »Der Mensch« und einen Absagebrief an das Leben: »Der Mensch taugt nichts, darum streiche ihn aus. Mein Mensch hat keinen Verleger gefunden weder als persona vera noch ficta, für die lezte (meine Tragödie) will kein Buchhändler die Drukkosten herschießen, und um die erste, (mich selbst) bekümmert sich gar der Teufel nicht, und sie lassen mich verhungern, wie den Ugolino, in dem größten Hungerthurme, der Welt, von dem sie vor meinen Augen den Schlüssel auf immer in das Meer geworfen haben. Ein Glück ist’s noch dass mir so viel Kraft übrig bleibt, die Zinne zu erklimmen und mich hinabzustürzen. Ich danke dafür, in diesem meinem Testamente, dem Buchhändler, der ob er gleich meinem Menschen nicht forthelfen wollte, mir doch wenigstens die Schnur in den Thurm hinabwarf, an der ich in die Höhe kommen kann.«
       Der Misserfolg muss freilich kein Grund zum Verzweifeln sein. Ein kommentarlos retourniertes Manuskript oder, schlimmer noch, ein abschätzig kommentiertes oder, noch viel viel schlimmer, ein belangloses Formschreiben voller nichtssagender Floskeln, die dem Autor viel Glück wünschen bei der Suche nach einem geeigneten Verlag – dies alles ist bedeutungslos, wenn man sich klarmacht, dass das Ziel des Künstlers nie Anerkennung oder gar Popularität sein darf. Man sollte nur die Bücher schreiben, die man selbst gern lesen würde – so gibt es zumindest einen Leser, der Freude daran hat. Schreibt man ein Buch aber nur aus Ruhmsucht und Gier, gemäß der für Bestseller vorgegebenen Erfolgsformel und in der Absicht, schnell und mühelos Millionär zu werden, ist man kein Schriftsteller, sondern ein von fremden Mächten programmierter Automat. Und selbst Automaten bekommen diese trostlosen Formschreiben mit den freundlichen Ablehnungen zugeschickt und enden schließlich in unserem Kellergewölbe.
       Ein Gegenbeispiel: Die meisten Erfolgsautoren haben früher oder später die Gunst der Leser verloren, viele einstige Bestsellerautoren wie W. Clark Russell, der zu seinen Lebzeiten rund hundert erfolgreiche Schmöker veröffentlichte, sind heute völlig

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