Die Bibliothek des Zaren
Böden, scheuerte die Waschbecken und wischte Staub. Die Fenster putzte er nur nicht, weil er an ihre Warnung dachte. Zwar war es wenig wahrscheinlich, dass sich auf dem Nachbardach ein Scharfschütze mit einem Gewehr versteckte, aber, wie sagt man doch so schon: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Die Bettwäsche und den rosa Schlafanzug faltete Nicholas zusammen und legte sie auf einen Stapel. Die Unterhose mit den blauen Blümchen, die er unter dem Bett entdeckte, ließ er taktvoll liegen. Er sammelte die herumfliegenden Bücher ein und stellte sie aufs Bücherbrett. Zwei Titel fielen ihm ins Auge und irritierten den ungebetenen Raumpfleger: »WIE MAN SICH UM FÜNF ZENTIMETER GRÖSSER MACHEN KANN« UND »101 RATSCHLÄGE FÜR EINE FRAU, DIE GELIEBT WERDEN WILL«. Fandorin erfasste verspätete Reue: Warum drängte er sich nur so mit seiner Dankbarkeit und seiner idiotischen Reinlichkeitsliebe auf! Die Wohnungsinhaberin würde das Eindringen in ihre Privatsphäre wohl kaum als angenehm empfinden . . . Ob er alles wieder so hinschmeißen sollte, wie er es vorgefunden hatte? Aber was sollte er mit dem Dreck und dem Staub anstellen, die konnte er doch nicht wieder zurückzaubern!
Mitten in seinen quälenden Zweifeln klingelte das Telefon.
»Nick, hör mir gut zu«, sagte Altyn mit angespannter Stimme. »Du glaubst nicht, was ich herausgefunden habe . . . Moment mal, Mamajewa, immer der Reihe nach . . .«, rief sie sich selber zur Ordnung und fuhr fort: »Du bist ein Glückspilz, das ist megasicher. Weißt du, wer gestern hinter dir her war? Nicht irgendein junger Spund, sondern ein Killer der Superklasse! Sie haben ihn auf dem Foto sofort erkannt. Sein Spitzname ist Schurik, den wirklichen Namen kennt keiner.«
»Was für ein seltsamer Spitzname: Schurik«, sagte Fandorin, damit Altyn nicht dachte, er habe sich erschrocken.
Die Hand, mit der er den Hörer hielt, wurde auf einmal widerlich klebrig und kalt.
»Der Killer einer neuen Generation, mit einem ganz eigenen Stil. Ein Sechziger-Jahre-Freak. Jeans mit weitem Schlag, Turnschuhe, Lieder von Juri Wisbor usw. Kurz: ›Die kaukasische Gefangenem«
»Was für eine Gefangene?«, fragte der Magister, der nichts verstand. »Mit was für einer Gefangenen soll das denn zu tun haben?«
»›Die kaukasische Gefangene oder Schuriks neue Abenteuer‹, das ist der Titel eines berühmten sowjetischen Films der sechziger Jahre. Aber das ist nicht so wichtig. Entscheidend ist: Die Liste, die er vorzuweisen hat, ist nicht von schlechten Eltern. Er hat Atlas, Zhmyrja und Lewontschik um die Ecke gebracht, das sind Moskauer Mafialeute. Mein Informant sagt, wahrscheinlich habe Schurik auch die Brüder Otarischwili erledigt. Und den Vorstandsvorsitzenden der ›Swjatogor-Bank‹ wie auch den Präsidenten des Bundes der Invaliden. Aber was erzähle ich dir da, du bist ja ein Igel im Nebel und hast von unserer jüngsten Geschichte keine Ahnung. Schurik ist jedenfalls ein Killer, wie er im Buche steht. Für weniger als hunderttausend Bucks pro Auftrag rührt der keinen Finger. So ein Profikiller müsste eigentlich bei jemandem in festen Diensten stehen, aber bei wem, ist unklar. Sonst noch was? Ach ja, was typisch für Schurik ist: Er tötet nicht gern aus der Distanz. Er arbeitet ungern mit Sprengstoff oder einer Knarre mit Zielfernrohr, sondern gebraucht lieber Messer, Pistole, Schlagring oder seine Hände – er kann Karate und ist Träger des 5. Dan. Er ist ein Mörder, der die Augen seines Opfers sehen will.«
»W-w-w-weiß ich«, antwortete Nicholas mit gepresster Stimme und erinnerte sich an das fröhliche Lächeln des Brillenträgers.
»Was regst du dich denn so auf«, versuchte ihn Altyn zu beruhigen. »Dein Schurik besieht sich längst die Radieschen von unten. Den haben die Jungs von Sosso doch ausgeschaltet.«
»Ja, sicher«, sagte Fandorin leise.
»Bleib zu Hause und warte auf mich. Ich fahre nur in unser Infozentrum, die Mädchen haben versprochen, mich mit Büchern über die Bibliothek Iwans des Schrecklichen und einem Pressedossier zu den Suchaktionen nach ihr zu versorgen. Bist du sehr hungrig?«
»Nein, nicht sehr . . .«
»Gut, gedulde dich noch ein wenig.«
Der Magister warf den Hörer auf die Gabel und schritt im Zimmer auf und ab.
Schurik, dieser Horror aus dem Film »A Nightmare on Elm Street« lebte und war wohlauf! Den Zettel hatte er geschrieben, da gab es nicht den mindesten Zweifel. »Mille pardons!« Kein anderer als er hatte ihm den
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