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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gesehen?«
    »Ja, danke. Ich bin gestern ungeschickt hingefallen«, sagte Nicholas und lächelte ebenfalls. »Ich muss ihn jetzt wohl weg. . .«
    Der Fahrer verstellte auf einmal ein wenig den Rückspiegel, drehte sich kurz um und unterbrach ihn:
    »He, Sir, jemand ist uns auf den Fersen. Will der etwas von Ihnen oder von mir? Mich hat im Augenblick eigentlich keiner auf dem Kieker.«
    Fandorin drehte sich ebenfalls um und sah nicht weit weg, in einer Entfernung von zwanzig Yards, einen hellgrünen Jeep der Marke Niwa. Am Steuer saß ein Mann mit einem strohblonden Schopf und einer Brille. Schurik!
    »Der will etwas von mir«, sagte der Magister schnell, und sein Herz fing an zu rasen. »Hören Sie. Ich möchte Sie nicht in Gefahr bringen. Lassen Sie mich raus. Oder . . .«
    Er warf einen kurzen Blick auf den Normannen und sprach leise zu Ende: »Oder geben Sie einfach Gas. Mit Ihrem Motor hängen wir den glatt ab.«
    Er errötete, denn es war ihm peinlich, einen völlig unbekannten Menschen um so einen gefährlichen Gefallen zu bitten, und er schämte sich dafür. Aber das Entsetzen, das aus den finsteren Tiefen seiner Seele gestiegen war, verdrängte alle anderen Gefühle. Dasselbe war wohl mit den zivilisierten Passagieren der Fähre »Christiania« geschehen, als die Decks sich immer mehr den kalten bleigrauen Wellen zuneigten . . . Dieser Gedanke half Fandorin, seinen Schwächeanfall zu überwinden.
    »Nein, Sie brauchen nicht Gas zu geben«, sagte er. »Lassen Sie mich raus. Das ist mein Bier und nicht Ihrs.«
    Der Normanne blinkte und bog nach rechts ab, in eine Gasse.
    »Gas geben werde ich nicht«, sagte er und schaute in den Rückspiegel. Der Jeep hielt immer noch denselben Abstand. »Gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung zu verstoßen ist unfein. Das zum Ersten. Sie rauslassen kann ich auch nicht, weil mein Auto dasselbe ist wie mein Haus. Das heißt, Sie sind mein Gast, und meine Gäste liefere ich nicht aus. Das zum Zweiten. Und zum Dritten . . .« Bei dem Schild »Sackgasse« bog er noch einmal ab. »Ich bin wahnsinnig empfindlich. Wie kommt dieser Typ dazu, mir auf den Pelz zu rücken?«
    Das Auto tat einen Satz – der Fahrer machte eine Vollbremsung. Der Jeep blieb ebenfalls stehen, seine Entfernung hatte sich auf ein Dutzend Yards verringert. Sie waren umgeben von einer Baulücke, Garagen und staubigen Büschen.
    Als er sah, dass der verwegene Blonde die Tür öffnen wollte, packte Nicholas ihn in Panik am Ärmel und sagte:
    »Was machen Sie! Sie wissen ja nicht, was das für ein Mann ist.«
    »Und Sie wissen nicht, was Wlad Solowjow für ein Mann ist«, antwortete der Selbstmörder ungerührt. »Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Kommen Sie, wir steigen aus und unterhalten uns wie normale Leute.«
    Er stieg aus, schlug die Tür zu und ging auf den hellgrünen Jeep zu.
    Fandorin öffnete ebenfalls die Tür, um zu schreien: »Vorsichtig! Er hat eine Waffe!«
    Aber er schrie nicht. Um nicht als ein noch größerer Idiot dazustehen, als er sowieso war.
    Dem Magister war plötzlich völlig klar, dass er in eine Falle geraten war. Diese beiden, der seltsame Geschäftsmann und Schurik, gehörten zusammen. Der »Jaguar« hatte nicht zufällig neben dem Briten angehalten.
    Nicholas schaute auf den Anlasser. Na klar, die Schlüssel hatte Wlad abgezogen.
    Sollte er aus dem Auto stürzen und über den leeren Platz rennen?
    Aber wozu eigentlich? Töten wollten sie ihn nicht. Vorläufig jedenfalls. Dann sollten sie doch wenigstens erklären, was sie von ihm wollten.
    Er schickte sich in das Unvermeidliche, stieg aus und schaute zu, wie die Kumpane sich begrüßten.
    Schurik war nicht ausgestiegen. Er saß da, den Ellenbogen aus dem offenen Fenster gestreckt, und blickte mit einem unschuldigen Lächeln auf den langsam näher kommenden Dandy im cremefarbenen italienischen Anzug und mit einem Schlüsselbund in der lässig herunterhängenden Hand. Ob sie sich einen Guten Tag wünschen würden? Oder sich die Hand geben würden?
    »Salam aleikum«, sagte Wlad Solowjow freundlich und schleuderte Schurik auf einmal mit einer blitzschnellen und präzisen Bewegung die Schlüssel ins Gesicht.
    Der Schlüsselbund traf die Brille des Sitzenden so genau, dass die Gläser sprangen. In derselben Sekunde hechtete Wlad mit einem Sprung die letzten Meter zum Jeep hinüber, packte Schurik mit der Hand an seinem hellen Schopf und knallte ihn zweimal mit der Stirn heftig gegen die Türkante.
    Nicholas war so verblüfft, dass

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