Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
nicht, dass ich diejenige war, die - die es getan hat?«
»Nein, so etwas hätte ich mir niemals vorstellen können«, sagte sie. »Ich bin nicht einmal sicher, ob ich es jetzt kann.« Sie presste ihre Finger gegeneinander und legte sie in den Schoß. »Ich versuchte, mehr herauszufinden. Ich rief noch einmal an, und Terrence Ray ging ans Telefon, aber er wollte nicht darüber sprechen. Er wollte nur wissen, wer ich war. Ich habe sogar die Polizei in Sylvan angerufen, aber sie haben mir natürlich auch keine Informationen gegeben, außer, dass es ein tödlicher Unfall war. Und so musste ich weiter leben, ohne wirklich Bescheid zu wissen. All diese Jahre.«
Wir saßen in der Stille. Der Regen hatte nahezu aufgehört und ließ uns allein mit all der Stille und einem Himmel ohne Mond.
»Na komm«, sagte Augusta. »Bringen wir dich ins Bett.«
Wir gingen in die Nacht hinaus, durch den abgehackten Gesang von Grillen, durch dicke Tropfen, die auf den Schirm klatschten, durch diese entsetzlichen Rhythmen, die, wenn man nicht aufpasst, bis ins Innerste vordringen. Ohne dich , trommelten sie. Ohne dich. Ohne dich .
Wissen kann ein Fluch sein. Ich hätte gerne den neuen Haufen Wahrheit gegen meinen alten Haufen Lügen eingetauscht, und ich wusste nicht, welcher von beiden schwerer zu tragen wäre. Für welchen würde ich mehr Kraft benötigen? Es war natürlich eine dumme Frage, denn wenn man erst einmal die Wahrheit kennt, kann man nie mehr umkehren und dann doch lieber den Koffer mit den Lügen nehmen. Schwerer oder nicht, ich musste jetzt die Wahrheit schleppen.
Augusta wartete im Honighaus, bis ich unter die Laken gekrochen war, dann beugte sie sich zu mir und küsste mich auf die Stirn.
»Jeder Mensch auf dem Antlitz dieser Erde macht Fehler, Lily. Jeder Einzelne von uns. Wir sind alle nur Menschen. Deine Mutter hat einen schrecklichen Fehler gemacht, aber sie wollte ihn wieder gutmachen.«
»Gute Nacht«, sagte ich und drehte mich auf die Seite.
»Nichts und niemand ist ohne Fehl«, sagte Augusta von der Türschwelle her. »So ist das im Leben.«
Eine Arbeiterin misst nur wenig mehr als einen Zentimeter und wiegt lediglich etwa sechzig Milligramm; aber sie kann mit einer Last fliegen, die wesentlich schwerer ist als sie selbst.
KAPITEL 13
Ich hatte mich nicht gerührt, seit Augusta gegangen war, ich lag einfach nur da und starrte auf die glatte Oberfläche der Wand, auf den Aufmarsch der Insekten, die bei Nacht herauskommen und zu ihrem eigenen Vergnügen im Zimmer herumkrabbeln, weil sie glauben, man schläft. Als ich genug davon hatte, ihnen zuzusehen, legte ich den Arm über die Augen und sagte mir: Schlaf, Lily. Bitte schlaf einfach ein . Aber natürlich war an Schlaf nicht zu denken.
Ich setzte mich auf, und es fühlte sich an, als ob mein Körper zweihundert Pfund wiegen würde. Als ob jemand mit einem Betonmischer zum Honighaus gefahren wäre, die Ventile geöffnet und den ganzen Inhalt über meine Brust geschüttet hätte. Es war entsetzlich, hier mitten in der Nacht herumzuliegen und sich schwer und starr wie ein Betonklotz zu fühlen.
Während ich auf die Wand starrte, dachte ich mehr als einmal an Unsere Liebe Frau. Ich wollte gerne mit ihr sprechen und sie fragen: Was wird nun mit mir geschehen? Aber als ich sie vorhin gesehen hatte, als Augusta und ich ins Haus zurückgekommen waren, sah sie nicht aus, als ob sie irgendjemandem eine Hilfe sein könnte, gefesselt, mit all den Ketten um den Leib. Man möchte doch zumindest, dass diejenige, zu der man betet, wenigstens so aussieht, als ob sie in der Lage wäre, einem zu helfen.
Ich quälte mich aus dem Bett und ging trotzdem zu ihr. Ich fand, dass selbst Maria nicht andauernd und hundertprozentig zu allem fähig sein musste. Ich wollte bloß, dass sie mich verstand. Dass jemand tief seufzen und sagen würde: Du armes Ding, ich weiß, wie das ist. Glaub mir, ich kenne das Gefühl nur zu gut .
Als ich näher kam, konnte ich die Kette, das schwere, rostige Metall riechen. Ich verspürte den dringenden Wunsch, sie loszubinden, aber das hätte natürlich alles zerstört, was Augusta und die Töchter um sie herum veranstalteten und aufführten.
Die rote Kerze zu Füßen der Maria flackerte. Ich sank auf den Boden und verschränkte die Beine. Draußen hörte ich den Wind in den Baumwipfeln, seinen Singsang, der mich zurück versetzte in Zeiten, als ich nachts in meinem Bett gelegen und den gleichen Klang gehört hatte und mir dabei im Halbschlaf und
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