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Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees

Titel: Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Monk Kidd
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noch von der Santa Maria von Columbus.
    Sie war tiefschwarz, schwärzer ging es nicht, dabei verzogen und verbogen wie ein großes Stück Treibholz, und an ihrem Gesicht konnte man all die Stürme und Reisen ablesen, die sie durchlebt hatte. Ihr rechter Arm war erhoben, so als ob sie den Weg zeigen wollte, aber ihre Finger waren zu einer Faust geschlossen.
    Obwohl sie nicht bekleidet war wie Maria sonst und auch dem Bild auf dem Honigglas nicht ähnelte, wusste ich doch: Sie war es. Auf ihrer Brust war ein verblichenes rotes Herz aufgemalt, und an der Stelle, an der ihr Körper in den hölzernen Leib des Schiffes übergegangen wäre, befand sich eine gelbe, verwitterte Mondsichel. Eine Kerze, die in einem großen roten Glas schien, warf einen Schimmer über sie. Sie war gleichzeitig machtvoll und demütig. Ich wusste nicht, was ich denken sollte, aber ich fühlte etwas, das war so gewaltig wie der Mond und es schmerzte, als ob meine Brust zerspringen müsste.
    So stark hatte ich erst ein einziges Mal empfunden, und das war, als ich eines Tages vom Pfirsichstand nach Hause gegangen war und gesehen hatte, wie sich die Sonne über den späten Nachmittag ergossen und die Wipfel des Obstgartens in Flammen gesetzt hatte, unter denen sich schon die Dunkelheit sammelte. Stille war ringsum gewesen, die Luft durchdrungen von Schönheit, und mir schien es damals, als könnte ich durch die Bäume hindurch tief in ihr reinstes Inneres sehen. Damals hatte meine Brust auch so wehgetan, genau auf die gleiche Weise.
    Den Mund der Statue umspielte ein kleines Lächeln, sanft, schön und gleichzeitig auch ein wenig anmaßend. Ich legte unwillkürlich die Hände um meinen Hals. Alles an diesem Lächeln sagte: Lily Owens, ich kenne dich bis in die Abgründe deines Herzens.
    Ich spürte, sie wusste genau, wer ich wirklich war, nämlich eine Lügnerin und Mörderin, und sie wusste auch, wie sehr ich T. Ray und die Mädchen in der Schule hasste, am meisten aber mich selbst, weil ich meine Mutter auf dem Gewissen hatte.
    Ich hätte weinen mögen, aber gleichzeitig war mir auch zum Lachen zumute, weil mir die Statue auch ein gütiges Lächeln schenkte, als ob sie in mir Liebenswürdigkeit und Schönheit sähe, als ob ich all die Gaben in mir trüge, von denen Mrs. Henry immer sprach.
    Ich stand im Angesicht der Statue und liebte und hasste mich zugleich. Die schwarze Maria löste etwas in mir aus, das mich meine Größe und meine Scham zugleich spüren ließ.
    Ich trat näher an sie heran und nahm entfernt den Geruch von Honig wahr, der aus dem Holz zu dringen schien. May kam herüber und stellte sich neben mich, und dann konnte ich nur noch Pomade in ihrem Haar riechen, Zwiebeln an ihren Händen und Vanille in ihrem Atem. Ihre Handflächen waren so rosa wie ihre Fußsohlen, ihre Ellbogen dunkler als der Rest, und ihr Anblick erfüllte mich mit Zärtlichkeit.
    Augusta Boatwright kam herein, mit einer randlosen Brille und einem limonengrünen Schal, den sie um ihren Gürtel geknüpft hatte. »Und wer seid ihr beide?«, fragte sie, und der Klang ihrer Stimme holte mich zurück in die Wirklichkeit.
    Ihr Gesicht schimmerte von Schweiß und Sonne wie Mandelbutter, es war durchfurcht von Tausenden von Falten aus dunklem Karamell, und ihr Haar sah aus, als wäre es mit Mehl bestäubt. Trotzdem wirkte sie jung.
    »Ich bin Lily, und das ist Rosaleen«, sagte ich und zögerte, als June hinter ihr in der Tür erschien. Ich öffnete den Mund wieder, ohne recht zu wissen, was ich als Nächstes sagen sollte. Was dann herauskam, hat mich selbst völlig überrascht: »Wir sind von zu Hause weggelaufen und wissen nicht, wohin.«
    An jedem anderen Tag hätte ich ohne weiteres einen Wettbewerb im Lügenerzählen gewinnen können, aber ausgerechnet jetzt sagte ich die Wahrheit! Ich beobachtete, was sich in ihren Mienen abspielte. Besonders bei Augusta. Sie nahm ihre Brille ab und rieb sich die kleinen Dellen an ihrer Nase. Es war so still, dass ich eine Uhr in einem Zimmer nebenan ticken hören konnte.
    Augusta setzte ihre Brille wieder auf, ging zu Rosaleen und besah sich die Stiche auf ihrer Stirn, den Schnitt unter ihrem Auge, die blauen Flecken entlang von Schläfe und Armen. »Sie sehen aus, als seien Sie geschlagen worden.«
    »Sie ist die Treppen hinuntergefallen, als wir aufgebrochen sind«, warf ich ein und kehrte wieder zu meinen üblichen Flunkereien zurück.
    Augusta und June tauschten einen langen Blick, während sich Rosaleens Augen verengten und

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