Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees
einem Baumstumpf säße, um das Schauspiel aus sicherer Entfernung zu verfolgen. Der andere Teil von mir tanzte mit den Bienen. Ich bewegte mich nicht einen Fingerbreit, aber im Geist trudelte ich mit ihnen durch die Luft. Ich tanzte mit den Bienen den Tanz der Töchter Mariens.
Ich vergaß beinahe völlig, wo ich war. Ich hob mit geschlossenen Augen langsam meine Arme, durch die Bienenwirbel hindurch, bis ich schließlich mit zu beiden Seiten gestreckten Armen da stand, an einem Ort in einem Traum, an dem ich noch niemals gewesen war. Mein Kopf fiel in den Nacken, und ich öffnete den Mund. Ich schwebte irgendwo, irgendwo an einem Ort, an dem es keine Tür zu meinem Leben gab. Als ob ich Rinde eines Medizinbaums gekaut und sie mich schwindelig gemacht hätte.
Ich stand selbstvergessen inmitten all der Bienen, als wäre ich in ein Feld verzauberten Klees gefallen, das mich gegen alles immun machte, als ob Augusta mich mit dem Raucher so stark betäubt hätte, dass ich nur noch meine Arme heben und mich vor und zurück wiegen konnte.
Und dann, ohne jede Vorwarnung, war dieser Rausch vorbei, und die leere, wunde Stelle zwischen meinem Nabel und meinem Brustbein fing wieder an zu schmerzen. Die Stelle, wo die Sehnsucht nach meiner Mutter saß. Ich konnte meine Mutter in der Wäschekammer sehen, das Fenster, das sich nicht öffnen ließ, den Koffer auf dem Boden. Ich hörte die Schreie, dann den Knall. Ich stürzte fast. Ich ließ die Arme sinken, öffnete aber nicht die Augen. Was könnte ich jemals tun, was gut genug wäre, dieses Grauen zu vertreiben? Warum können wir nicht zurück und die Dinge wieder gut machen, die wir falsch gemacht haben?
Dann fielen mir die Plagen ein, die Gott am Anfang seines Daseins erdacht hatte, die er geschickt hatte, damit der Pharao seine Meinung änderte und Moses mit seinem Volk aus Ägypten ausziehen ließ. Lass mein Volk ziehen, hatte Moses gesagt. Ich hatte die Heuschreckenplage im Kino gesehen, der Himmel erfüllt mit Scharen von Insekten, die aussahen wie Kamikazeflieger. Damals in meinem Zimmer auf der Pfirsichfarm, als die Bienen das erste Mal herauskamen, hatte ich mir vorgestellt, sie wären T. Ray als Plage gesandt worden, so als wollte Gott ihm sagen: Lass meine Tochter ziehen. Und vielleicht war das ja wirklich so gewesen, sie waren die Plage, die mir die Freiheit gebracht hatte.
Aber hier und jetzt, umgeben von den Bienen mit ihren Stacheln, erfüllt von schmerzender Sehnsucht nach meiner Mutter, wusste ich, diese Bienen waren keine Plage. Die Wärterinnen der Königin, beseelt von einem Rausch der Liebe, waren gekommen, um mich zu liebkosen. Seht mal, wer da ist, da ist Lily. Und sie ist so verzweifelt und einsam. Na, kommt, Schwestern. Ich war der Mittelpunkt all ihres sanften Tröstens.
»Lily... Lily!« Mein Name drang durch blaue Schleier. »Lily!«
Ich öffnete die Augen. Augusta sah mich durch ihre Brille an. Die Bienen hatten den Pollenstaub von ihren Füßen geschüttelt und flogen langsam wieder zurück in den Stock. Ich konnte winzige Körnchen in der Luft schweben sehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Augusta.
Ich nickte. Aber sicher war ich nicht.
»Du weißt ganz genau, dass wir beide uns einmal in Ruhe unterhalten müssen. Aber diesmal nicht über mich. Sondern über dich.«
Ich wünschte, ich könnte es genauso machen wie die Bienen, einfach gegen ihre Stirn fliegen, als kleine Warnung. Ich habe ein Auge auf dich, also sei besser vorsichtig. Geh nicht noch weiter.
»Vermutlich«, antwortete ich.
»Wie wäre es denn mit jetzt?«
»Nicht jetzt.«
»Aber Lily...«
»Ich sterbe vor Hunger«, sagte ich. »Ich gehe lieber zurück und sehe nach, ob das Mittagessen schon fertig ist.«
Ich wartete gar nicht erst auf eine Antwort. Als ich zurück zum rosa Haus ging, konnte ich das nahende Ende spüren. Ich berührte die Stelle auf meinem T-Shirt, wo ich die schwarze Maria hingeklebt hatte. Sie löste sich allmählich ab.
Im Haus roch es nach gebratenen Okras. Rosaleen deckte den Tisch, während May die goldenen Kerne aus dem Fett holte. Ich wusste nicht, warum es Okra gab, denn normalerweise gab es Wurst-Sandwichs, und noch mal Wurst-Sandwichs.
May hatte keinen Weinanfall mehr, seit June ihren Tomatenwurfanfall bekommen hatte, und wir hielten alle den Atem an. Nachdem es schon so lange gut gegangen war, hatte ich Angst, dass selbst so etwas Nebensächliches wie verbrannte Okrakerne sie aus der Fassung bringen könnte.
Ich sagte, ich wäre
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