Die Bischöfin von Rom
diese verhängnisvolle Entwicklung wird sich zum Schaden Roms, Italiens und womöglich des ganzen Weströmischen Reiches fortsetzen, sofern es dem Autokraten Liberius gelingt, immer noch mehr Macht an sich zu reißen.«
»Schon als ich ihn zum erstenmal sah, kam es mir so vor, als sei dieser Papst eine Ausgeburt des Weißen Drachen«, äußerte Branwyn mit blitzenden Augen. Weil sie bemerkte, daß ihre Freundin nicht gleich verstand, setzte sie hinzu: »Ich erzählte dir doch einmal von dem Gespräch, das ich in einer der Nächte meiner Wanderung mit dem Barden Eolo Goch hatte. Damals erläuterte er mir die Bedeutung der Einlegearbeit auf seiner Handharfe, wo zwei gegeneinander kämpfende Drachen – ein roter und ein weißer – dargestellt waren, und machte mir klar, daß es sich dabei um ein druidisches Sinnbild der unablässigen Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse handelt …«
»Richtig, jetzt erinnere ich mich wieder«, nickte die Presbyterin. »Der Rote Drache steht für das positive Wollen der Menschen, die sich in Harmonie mit dem Göttlichen befinden, während der Weiße Drache Symbol für das Widergöttliche, Inhumane und Niedrige ist. So betrachtet, will mir das, was du über Liberius sagtest, gar nicht abwegig erscheinen, denn das Oberhaupt des Patriarchats ist in der Tat der bösartigste Machtmensch, mit dem ich im Laufe meines langen Lebens konfrontiert wurde …«
Sie besann sich, dann fuhr sie fort: »Aber es gab, gerade hier in Rom, andere Despoten, die ähnlich wie der Papst glaubten, sie könnten sich jedes Verbrechen erlauben. Felsenfest schienen sie auf ihren Thronen zu sitzen, dennoch wurden sie zuletzt gestürzt – und dies heißt, daß auch der Kampf gegen Liberius nicht aussichtslos ist.«
»Ganz gewiß nicht!« beteuerte Branwyn. »Vorhin, in der Kirche, hast du es bewiesen. Deine mutige Predigt fand einhellige Zustimmung, und du hast die Gemeindemitglieder damit in ihrem Willen zum Widerstand bestärkt.«
»Ich wollte, ich könnte mehr tun«, erwiderte Calpurnia leise.
»Du leistest sehr viel!« widersprach Branwyn. »Mehr als die meisten Seelsorger, die ich in den eineinhalb Jahren seit meiner Ankunft hier in der Tiberstadt kennenlernte. Du hast das Hospital, die Schule und das Waisenhaus eingerichtet, setzt die Lehre Jesu dort Tag für Tag in die Tat um und beschämst so diejenigen, denen das Christentum lediglich als Deckmäntelchen für ihre verwerflichen Absichten dient.«
»Das mag sein«, gab die Presbyterin zu. »Trotzdem wird die Hauptlast des Kampfes auf den Schultern derer liegen, die nach mir kommen.« Sie griff nach der Hand ihrer Begleiterin. »Auf deinen Schultern, Branwyn, sofern du bereit bist, die Verantwortung auf dich zu nehmen …«
Als die jüngere Frau schwieg, fragte Calpurnia beinahe drängend: »Du würdest dich doch nicht weigern, oder?«
Branwyn spürte, daß sie ihrer betagten Freundin nicht länger ausweichen durfte, und antwortete leise: »Du weißt, ich stehe ebenso wie du unverbrüchlich auf der Seite des Roten Drachen. Das bedeutet, du kannst dich auf mich verlassen, was immer auch geschieht …«
»Dann ist es gut!« entgegnete Calpurnia und hakte sich bei ihrer Gefährtin unter. »Miteinander werden wir uns dem Weißen Drachen in den Weg stellen, du und ich!«
»Ja, das wollen wir tun!« bestätigte Branwyn erleichtert. »Wir beide – und ich möchte den sehen, der uns dabei aufhalten kann!«
***
Während der folgenden Wochen freilich sah es so aus, als sei nichts und niemand imstande, dem verderblichen Treiben des Papstes Einhalt zu gebieten. Abgesichert durch die ihm vom Kaiser eingeräumte Machtstellung, scheute Liberius nicht vor weiteren Anschlägen gegen die Glaubensfreiheit zurück. So etwa im Oktober dieses Jahres 358, als er jene Gemeindemitglieder von Sancta Magdalena, die ungeachtet der handstreichartigen Übernahme ihres Kirchensprengels durch das Patriarchat nach wie vor zu den Andachten kamen, zu einer noch schlimmeren Selbstverleugnung zwingen ließ.
Zunächst hielt der neue, katholische Priester eine Sonntagspredigt, in der er jedem Gläubigen, der es wagen würde, sich dem Willen des Papstes zu widersetzen, den Verlust der göttlichen Gnade androhte. Mit Wortbildern und Redewendungen, die eines Schmierenkomödianten würdig gewesen wären, malte der von Liberius eingesetzte Pfarrherr den verstört lauschenden Frauen und Männern die ewigen Qualen aus, die sie nach ihrem Tod zu erwarten hätten, falls sie dem
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