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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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gegen Sommerende erzeugte eine dieser Infamien besonders böses Blut in der Tiberstadt.
    Die nicht sehr große, aber schön ausgestattete Kirche Sancta Magdalena war ein Jahrzehnt vor dem Konzil von Nicaea, Anno 315, von Arianern erbaut worden. Sie stand am südöstlichen Abhang des Celiushügels und damit nicht sehr weit vom Lateranpalast entfernt; wahrscheinlich aus diesem Grund war das Gotteshaus dem Papst noch mehr als andere arianische Gebetsstätten ein Dorn im Auge. Gleich nach seiner Rückkehr hatte er von den etwa zweihundert, seiner Ansicht nach ketzerischen Mitgliedern der Gemeinde Sancta Magdalena verlangt, sie sollten der alten Lehre abschwören und sich dem Patriarchat unterwerfen. Die Arianer allerdings, eingedenk ihrer sehr viel ehrwürdigeren paulinischen Glaubenstradition, hatten sich geweigert; daraufhin war es im Wohnviertel um die genannte Kirche zu rapiden Veränderungen gekommen.
    Es handelte sich um eine Gegend, wo kleine Gewerbetreibende und Handwerker, aber auch Bademeister, Masseure, Heizer und Putzfrauen lebten, die in den nahen Caracalla-Thermen beschäftigt waren. Zusätzlich gab es mehrere Mietskasernen, die früher meist von armen Familien bewohnt gewesen waren, welche aus dem Umland in die Stadt gekommen waren und hier Fuß zu fassen versucht hatten. Seit geraumer Zeit freilich standen viele dieser billigen, kaum noch menschenwürdigen Wohnungen leer; unter anderem deswegen, weil die Mitglieder der Kirchengemeinde von Sancta Magdalena sowie Christen aus anderen Stadtvierteln sich bemüht hatten, den ehemaligen Mietern wirtschaftlich und sozial auf die Beine zu helfen. Genau diesen Umstand aber nutzten Liberius und seine Helfershelfer nun für ihre Zwecke – indem sie nämlich dafür sorgten, daß die Mietshäuser neuerlich bis zur letzten Kammer belegt wurden.
    Von allen Ecken und Enden Roms langten im Verlauf der heißen Monate Menschen der untersten gesellschaftlichen Schicht an: Arbeitslose, Invaliden, von ihren Ehegatten im Stich gelassene Frauen, abgetakelte Prostituierte, entlassene Strafgefangene und Alkoholkranke. Ohne Ansehen der Person fanden diese Bedauernswerten Unterkunft in den heruntergekommenen sechsstöckigen Gebäuden, deren Eigentümer seit kurzem das Patriarchat war. Zunächst herrschte bei der Bevölkerung die Meinung vor, der Papst wolle auf diese Weise tätige Nächstenliebe üben; dies insbesondere deshalb, weil die Neuankömmlinge keine Miete zu bezahlen hatten und außerdem Lebensmittel aus den Vorratsspeichern des Kirchenfürsten erhielten. Angesichts dessen versuchten sich die eingesessenen Bürger mit ihren neuen Nachbarn zu arrangieren, und dies galt auch in religiöser Hinsicht, als sich mehr und mehr Insassen der faktisch zu Armenhäusern gewordenen Mietskasernen um Aufnahme in die Gemeinschaft von Sancta Magdalena bewarben.
    Obwohl der arianische Priester gewisse Bedenken hegte, blieb ihm letztlich gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen, denn ein bereits Anno 313 erlassenes Gesetz sicherte jedem Christen zu, daß er sich in völliger Freiheit für die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde seiner Wahl entscheiden könne. Infolgedessen war die Zahl der Gläubigen, die der Presbyter zu betreuen hatte, gegen Sommerende von bisher rund zweihundert auf fast fünfhundert angestiegen; diejenigen, welche die Kirche schon seit vielen Jahren besuchten, sahen sich plötzlich in der Minderzahl. Und genau das hatte Liberius, wie sich jetzt herausstellte, beabsichtigt – nun konnte er sein wahres Gesicht zeigen und Sancta Magdalena unter die Herrschaft des Patriarchats zwingen.
    Kaum war die traditionell in der zweiten Septemberwoche stattfindende Jahresversammlung des Kirchensprengels eröffnet worden, stellte ein als trunksüchtig bekannter ehemaliger Legionär, der heute jedoch erstaunlich nüchtern wirkte, den Antrag, die Gemeinde solle der vom Konzil verdammten Lehre des Arius abschwören und sich statt dessen zum Dogma des Athanasius bekennen. Obwohl die Arianer, denen es jetzt wie Schuppen von den Augen fiel, heftig protestierten, vermochten sie sich gegen die Übermacht der erst kürzlich zugezogenen Gemeindemitglieder nicht durchzusetzen. Mit großer Mehrheit wurden sie überstimmt und mußten gleich darauf einen noch härteren Schlag hinnehmen, denn nun beantragte der offensichtlich vom Patriarchat genau instruierte Veteran die Absetzung des arianischen Presbyters und drang auch damit durch. Völlig verstört verließ der betagte Seelenhirte die

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