Die Bischöfin von Rom
Papst, der als legitimer Nachfolger des in Rom gekreuzigten Apostels Petrus Stellvertreter Gottes auf Erden sei, den schuldigen Gehorsam verweigerten. Dann, nachdem er die Gemeinde auf diese Weise – und zudem durch einige sehr deutliche Anspielungen auf die weltliche Macht des Patriarchats – ausreichend eingeschüchtert hatte, forderte er sie in schroffem Tonfall auf, ihm unmittelbar nach Beendigung des Gottesdienstes zum vatikanischen Hügel zu folgen.
Nur wenige Gläubige fanden den Mut, sich diesem Ansinnen zu verschließen und schlicht nach Hause zu gehen; die meisten fügten sich in ihrer Verwirrung der Anordnung des Priesters. Ohne ihnen irgendeine weitere Erklärung zu geben, führte er sie quer durch die Stadt zur nördlichsten Tiberbrücke, die den Strom nahe eines pompösen, unter Kaiser Domitian errichteten Stadions überspannte. Am jenseitigen Ufer erhob sich das protzige Mausoleum Hadrians, ansonsten war der Vatikanhügel so gut wie unbebaut; jedoch gab es, über das felsige, schütter mit Zypressen bewachsene Gelände verstreut, eine Reihe von seltsamen schachtartigen Öffnungen in der Erde.
Vor einer dieser mit groben Steinen eingefaßten Vertiefungen warteten ein älterer Kleriker und zwei Akoluthen. Jeder der beiden Hilfspriester hatte ein Bündel Fackeln bei sich, und jetzt begannen die Leute von Sancta Magdalena auch zu ahnen, warum man sie hergebracht hatte: Offensichtlich sollten sie aus irgendeinem Grund in die Katakomben – die uralten römischen Begräbnishöhlen, wo der Legende nach zahlreiche Märtyrer ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten – hinabsteigen.
Gleich darauf bestätigte der Gemeindepfarrer ihre Vermutung. Er teilte den neuerlich verstörten Gläubigen mit, daß eines der Gräber geöffnet werden solle. Die darin befindlichen Gebeine, die von einem Blutzeugen namens Sebastianus stammten, sollten geborgen und sodann zur Kirche auf dem Celiushügel gebracht werden. Abermals fügten sich die Frauen und Männer, nahmen Feuerbrände von den Akoluthen entgegen, entzündeten sie und drangen unter Führung des fremden Klerikers in die Tiefe vor.
Je weiter sie durch die engen, vielfach sich kreuzenden und teilweise halb verschütteten Gänge vorankamen, desto modriger wurde die Luft. Einmal schrie die Gemahlin eines Bäckers in Panik auf und konnte nur schwer wieder beruhigt werden. Sie war gegen eine der vielen mit Ziegelwerk vermauerten Nischen in der Stollenwand gestoßen; unversehens hatten sich die Steine gelöst, waren zu Boden gepoltert – und das flackernde Fackellicht hatte die Konturen eines in dem Mauerloch kauernden Skeletts aus der Dunkelheit geschält.
Ungefähr hundert Schritte weiter erreichten die bedauernswerten Opfer des päpstlichen Reliquienwahns die Grabstelle, in welcher die Überreste jenes ominösen Sebastianus lagen. Auch bei diesem Begräbnisplatz handelte es sich um eine von mehreren Dutzend Mauernischen in einer höhlenförmigen Erweiterung des Ganges; die Ziegel, die das Loch verschlossen hatten, waren bereits entfernt. Auf einem Steinpodest davor brannte eine Öllampe; außerdem stand auf dem Boden vor der Grabnische eine kleine, mit Kreuzen verzierte Bronzewanne.
Auf Befehl des Pfarrers von Sancta Magdalena knieten die Gläubigen im Halbkreis um das Behältnis nieder und stimmten einen Choral an. Während die Töne von den Kavernenwänden widerhallten, nahmen die beiden Priester einen bräunlichen Knochen nach dem anderen aus der Grabnische und legten die Gebeine in der bronzenen Wanne ab. Der Schädel kam zuletzt an die Reihe; kaum thronte er auf dem Knochenhaufen, begann die Bäckersgattin erneut unkontrolliert zu schluchzen und verstummte erst wieder, als der Choral endete und ihr Gemeindepfarrer sie scharf anfuhr.
Dann wechselte er einen Blick mit dem älteren Kleriker, worauf dieser den verdutzt lauschenden Frauen und Männern die Vita des Blutzeugen Sebastianus offenlegte. Dieser Glaubensheld, so der Priester, habe im vergangenen Jahrhundert gelebt und sei Offizier in der Garde des Kaisers Diokletian gewesen, der als einer der verruchtesten Christenhasser bezeichnet werden müsse. Abertausende von Getauften habe er hinschlachten lassen, und eines seiner Opfer sei der Centurio Sebastianus gewesen. Als dieser sich nämlich vor versammeltem Hofstaat zu seinem Glauben an die Göttlichkeit Christi bekannt habe, sei in dem Imperator das teuflische Tier erwacht, und er habe den Offizier mit sofortiger Wirkung zum Tod verurteilt.
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