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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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berichte ich dir der Reihe nach, was im vorigen Jahrhundert kurz nach Kaiser Diokletians Regierungsantritt tatsächlich geschah …«
    Sie setzte sich auf eine Bank nahe des Petrus-Mosaiks, wartete ab, bis Branwyn neben ihr Platz genommen hatte, und begann: »Wie es in einem Dokument, in das ich Einsicht genommen habe, heißt, wurde der Centurio Sebastianus auf einem Landgut südlich von Rom geboren, sein Ende jedoch fand er im westlichen Grenzgebiet Persiens, wo römische Legionen in jenen Jahren im Kampf gegen die dort herrschenden Sassaniden standen. Sebastianus allerdings gehörte zunächst nicht der kämpfenden Truppe an, sondern tat als Ausbilder Dienst in einem sicheren Militärlager. Im Vicus dort lebten auch Christen, und um einer hübschen jungen Frau aus dieser Gemeinde zu imponieren, ließ der Centurio sich im Haus ihrer Familie taufen.«
    »Gab es damals viele Anhänger der christlichen Lehre im kaiserlichen Heer?« wollte Branwyn wissen.
    »Nur wenige«, entgegnete die Presbyterin. »Denn anders als heute hielten die meisten Getauften das Gebot ›Du sollst nicht töten!‹ sehr hoch und leisteten deshalb in der Regel keinen Militärdienst. Dies war ohne weiteres möglich, weil die Legionen nur aus Freiwilligen rekrutiert wurden. Falls aber ein Armeeangehöriger zum Christentum konvertierte, so verlangte der Staat von ihm, seinen Abschied zu nehmen; ein Gesetz stellte jedoch sicher, daß ihm daraus kein Strick gedreht werden konnte.«
    »Sebastianus allerdings handelte nicht so, oder?« vermutete Branwyn.
    »Du sagst es«, bestätigte Calpurnia. »Der Centurio, der auf seinen hohen Sold sowie seine Offiziersprivilegien nicht verzichten wollte, blieb im Dienst und wählte damit nach römischem Recht den illegalen Weg. Nach Kirchenrecht freilich machte er sich nicht schuldig, denn es erlaubte, auch wenn diese Regelung umstritten war, die Zugehörigkeit heimlicher Christen zur Armee. Die Theologen verlangten aber, daß ein getaufter Legionär die Waffen in dem Moment niederlegen müsse, in dem es zum Kampf komme …«
    »Jetzt begreife ich!« murmelte Branwyn.
    Calpurnia nickte ihr bedeutungsvoll zu, dann fuhr sie fort: »Genau in diese Situation geriet Sebastianus. Nachdem er ungefähr ein Jahr lang Rekrutenausbilder in jenem sicheren Armeelager gewesen war, kommandierte man ihn zur kämpfenden Truppe ab, wo er den Befehl über eine Hundertschaft von Fußsoldaten übernahm. An der Spitze dieser Einheit zog er aufs Schlachtfeld, und selbstverständlich vertrauten sowohl seine Vorgesetzten als auch seine Soldaten darauf, daß er seine militärische Pflicht tun würde. Kaum jedoch stieß seine Centurie mit den Persern zusammen, riß Sebastianus sein Roß herum, floh und ließ die Legionäre auf diese Weise schmählich im Stich. Wie es heißt, wurde die Hundertschaft, die im entscheidenden Augenblick ohne Führung und damit völlig desorientiert war, beinahe bis auf den letzten Mann vernichtet – und die Schuld daran trug ohne Zweifel der fahnenflüchtige Offizier.«
    »Er und die sophistischen Theologen, die ihn in diese Lage gebracht hatten«, pflichtete Branwyn ihr bei.
    »Im Gegensatz zu dem Centurio blieb ihnen jedoch das Standgericht erspart«, versetzte die Presbyterin. »Nach der Schlacht nämlich, die trotz seines Verrats siegreich für die Römer endete, wurde Sebastianus in einem Versteck aufgegriffen und vor ein Tribunal gestellt. Seinen Vorgesetzten blieb gar nichts anderes übrig, als ihn nach geltendem Militärrecht mit dem Tode zu bestrafen. Eine Decurie Bogenschützen vollstreckte das Urteil; danach wurde der Leichnam an Ort und Stelle verscharrt, und heute ist niemandem mehr bekannt, wo genau im persischen Grenzgebiet sich das Grab des hingerichteten Hundertschaftsführers befindet. Ganz gewiß aber ruhten seine Gebeine nicht in den Katakomben auf dem Vatikanhügel, wo sie vor einigen Tagen angeblich geborgen wurden.«
    »Man hat infolgedessen das Skelett irgendeines Namenlosen nach Sancta Magdalena gebracht!« stieß Branwyn empört hervor. »Und die vorgeblichen Märtyrerknochen könnten ebensogut einem Schurken gehört haben!«
    »Das ist dem Patriarchat gleichgültig«, antwortete Calpurnia mit bitterer Stimme. »Für Liberius zählt nur eines: durch die Verdummung der Gläubigen seine Macht zu vergrößern. Um dieses Ziel zu erreichen, scheut er vor keiner Lüge und keinem Betrug zurück, und ich fürchte, es werden in Zukunft noch viele auf derartige Machenschaften hereinfallen:

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