Die Bischöfin von Rom
Versammlung, so gut wie alle Gleichgesinnten folgten ihm; sie taten es in dem Bewußtsein, einer Intrige sondergleichen zum Opfer gefallen zu sein.
Schon wenige Tage später bestimmte der Papst einen von ihm ausgewählten Priester zum neuen Oberhaupt von Sancta Magdalena. Die von Arianern erbaute Kirche gelangte so in die Verfügungsgewalt des Patriarchats, und Gottesdienste, deren Liturgie im Einklang mit der alten Lehre stand, durften unter ihrem Dach ab sofort nicht mehr gefeiert werden. Liberius triumphierte; die Armen und Entwurzelten hingegen, deren Notlage er für seinen tückischen Anschlag ausgenutzt hatte, bezahlten nicht weniger bitter als die arianischen Christen. Die Arbeitslosen, Invaliden, von ihren Ehegatten im Stich gelassenen Frauen, abgetakelten Prostituierten, entlassenen Strafgefangenen und Alkoholkranken nämlich wurden wieder aus ihren Unterkünften vertrieben und erhielten auch sonst keinerlei Unterstützung mehr. Abermals verschwanden sie in den Kellerlöchern oder Bretterverschlägen irgendwo in der Millionenstadt, aus denen der Papst sie in seinem Zynismus hatte holen lassen, um sie jetzt, da er sie nicht länger benötigte, in die nackte Armut zurückzustoßen.
***
Überall in Rom empörten sich diejenigen Gläubigen, die ihr Leben nach den Geboten der Evangelien auszurichten versuchten, über die Skrupellosigkeit des Papstes, und anläßlich einer Predigt in der Kirche Sancta Maria in Trans Tiberina geißelte auch Calpurnia das Vorgehen des Liberius. Ein Wort Jesu gebrauchend, warf sie dem Papst vor, das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle gemacht zu haben, und warnte vor schweren Rückschlägen für die christliche Religion, falls das Oberhaupt des Patriarchats weiterhin zu derart infamen Mitteln greife. Mit dem Ausspruch »Vergewaltigung Andersdenkender, Heimtücke und menschenverachtendes Handeln um des eigenen Vorteils willen stehen in eklatantem Widerspruch zur Lehre Christi!« schloß sie.
Nie zuvor hatte Branwyn die betagte Presbyterin so kämpferisch gesehen wie an diesem Septembertag; ihre eigene Abscheu vor den Machenschaften des Liberius war nicht weniger groß, und deshalb brach es auf dem gemeinsamen Rückweg mit Calpurnia zum Atriumhaus aus ihr heraus: »Ich wünschte, dieser sogenannte Vater aller römischen Getauften, dem es in Wahrheit allein um ständige Erweiterung seiner Macht zu tun ist, wäre zeitlebens an seinem thrakischen Verbannungsort geblieben!«
»Du sagst es!« stimmte die Presbyterin zu. »Der Papst ist auf verbrecherische Art machtbesessen! Er tritt alles, was Jesus verkündet hat, mit Füßen und rechtfertigt seinen Verrat an den Evangelien, wie man hört, mit dem ihm vorgeblich von Gott aufgegebenen Ziel, eine katholische Kirche schaffen zu müssen …«
»Katholisch?« unterbrach Branwyn. »Was bedeutet das?«
»Der griechische Begriff catholicos umschreibt den umfassenden, alleinigen Herrschaftsanspruch der athanasianischen Theologie, die Liberius vertritt«, erklärte Calpurnia. »Er wurde wahrscheinlich erstmals beim Konzil von Nicaea verwendet, spielte aber bislang kaum eine Rolle, weil das Christentum aus verschiedenartigen Wurzeln entstand und dies den Gläubigen stets bewußt war. Manche schöpften einen Teil ihrer Glaubenskraft aus uralten jüdischen Erkenntnissen, andere orientierten sich in ihrer Interpretation gewisser Evangelienaussagen mehr an griechischer oder ägyptischer Philosophie; schließlich gab es solche, welche die christliche Lehre mit asiatischer, beziehungsweise – im Westen Europas – keltischer Weisheit zu verbinden suchten. All dies wurde in den frühen Gemeinden durch das Ideal der Nächstenliebe verflochten, und niemand benötigte dazu irgendwelche Dogmen. Erst seit die Patriarchen und Bischöfe, die sich in Nicaea versammelten, die These des Athanasius von der Göttlichkeit Christi zur verbindlichen Glaubensgrundlage hochstilisierten, findet sich das Bestreben, bloß noch eine, eben die katholische Wahrheit oder besser Scheinwahrheit gelten zu lassen – und wohin dies führt, hat sich in Sancta Magdalena gezeigt.«
»Dort wurde eine Gemeinde zerstört, die ihre geistige Freiheit hochhielt und viel Gutes tat«, murmelte Branwyn. »Und nun steht der vom Papst eingesetzte Priester nur noch verängstigten Sklavenseelen vor, während die aufrechten Christen, deren Vorfahren die Kirche erbauten, sich von ihr abgewandt haben.«
»Du hättest es nicht treffender ausdrücken können!« bekräftigte Calpurnia. »Und
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