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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Sebastianus sei in den Palasthof geschleppt, an eine Säule gefesselt und von Bogenschützen mit Pfeilen gespickt worden. Anschließend habe man seinen Leichnam in die Gosse geworfen; in der darauffolgenden Nacht jedoch hätten christliche Glaubensbrüder ihn geborgen und ihn hier in den Katakomben bestattet.
    Nachdem der Kleriker seine schauerliche Geschichte beendet hatte, wurde die Bronzewanne feierlich verschlossen und mit Weihwasser besprengt. Dann hoben die Akoluthen sie hoch und trugen sie, von den Priestern flankiert, den langen Weg zurück zum Ausgang der Katakomben. Die Gemeindemitglieder von Sancta Magdalena folgten nach; als sie wieder ins Freie gelangten, sogen sie erleichtert die frische Luft ein und hofften, die Heimsuchung sei nun überstanden. Doch der Pfarrer ihres Kirchensprengels gönnte ihnen lediglich eine kurze Rastpause, ehe er sie aufforderte, sich in Prozessionsordnung aufzustellen.
    Die Männer voran, sodann die Kleriker mit dem bronzenen Behältnis und ganz hinten die Frauen, verließ der Zug den Vatikanhügel, überquerte die Tiberbrücke – und stieß jenseits des Stromes auf die Abordnung einer katholischen Gemeinde, die vom weiter nördlich liegenden Pinciushügel herangekommen war und sich jetzt der Reliquienprozession anschloß. Ähnlich verhielt es sich in den übrigen Stadtteilen bis hin zum Celius-Viertel; als die Gebeine des Sebastianus dort ankamen, war die sie begleitende Menschenmenge beinahe unüberschaubar geworden.
    In der ehemals arianischen Kirche Sancta Magdalena legten die Priester – inzwischen gut ein Dutzend – die Knochen feierlich in einem Reliquienschrein nieder, der mittlerweile vom Lateranpalast herangeschafft und neben dem Altar aufgestellt worden war. Während der Zeremonie wölkte Weihrauch in dichten Schwaden durch das Kirchenschiff, und neuerlich wurden Choräle gesungen. Zum Abschluß versicherte der katholische Pfarrherr, der die Stelle des arianischen Seelsorgers usurpiert hatte, den Gläubigen, daß das Gotteshaus nunmehr ungleich größere Bedeutung als bisher gewonnen habe. Dank der geistlichen Obsorge des Papstes, welcher die Verherrlichung der Märtyrergebeine ermöglicht habe, könne die Fürbitte des Sebastianus am Thron Gottes jetzt für alle Angehörigen der Gemeinde wirksam werden. Voraussetzung dazu sei lediglich die Öffnung der Herzen gegenüber dem Blutzeugen sowie dem Patriarchat, welches die Macht besitze, derartige Gnadenmittel zu gewähren, oder aber sie widerborstigen Schafen auch zu verweigern.
    ***
    Keiner der Gläubigen ahnte, daß durch die Verehrung des Reliquienschreines der alte Name der Kirche am südöstlichen Abhang des Celiushügels allmählich in Vergessenheit geraten würde. Schon eine Generation später sollte Sancta Magdalena in Sanctus Sebastianus umbenannt werden – auch wenn der vorgeblich so herausragende Glaubenszeuge es in den Augen Eingeweihter gar nicht verdiente, derart gefeiert zu werden.
    Kurz nach der Überführung der Gebeine erzählte Calpurnia ihrer Freundin Branwyn nämlich die wahre Geschichte des Sebastianus. Das Gespräch fand im Kirchenraum von Sancta Praxedis statt; die beiden Frauen hatten auf Anregung Branwyns an diesem milden Herbstnachmittag einen Spaziergang dorthin unternommen. Jetzt standen sie vor dem Mosaik, das den Juden Simon Kephas zeigte, und der Anblick des Bildnisses veranlaßte die Presbyterin dazu, den Reliquienkult, der neuerdings in Sancta Magdalena getrieben wurde, anzuprangern.
    »Menschen wie Petrus waren es, welche die Lehre Jesu in Liebe und Güte weitergaben«, erklärte Calpurnia. »Solche hingegen wie dieser Sebastianus haben kein Verdienst daran. Sie sind letztlich nur Popanze, deren Anbetung den verderblichen Absichten des Patriarchats entgegenkommt.«
    »Starb denn Sebastianus nicht, weil er sich vor dem Kaiser zu seinem christlichen Glauben bekannte, so wie es die Papstanhänger behaupten?« fragte Branwyn.
    »Nein!« erwiderte die Presbyterin. »Es stimmt zwar, daß er zur Regierungszeit Diokletians hingerichtet wurde, aber der Imperator hatte damit nichts zu tun. Und auch sonst verbreitet das Patriarchat vorsätzlich Lügen über die Umstände seines Todes, obwohl man natürlich im Lateran genau weiß, daß es sich bei Sebastianus um eine reichlich zwielichtige Gestalt handelte …«
    »Etwa gar um einen Verbrecher?« unterbrach Branwyn.
    »In gewisser Weise könnte man ihn so bezeichnen«, antwortete Calpurnia nach kurzem Nachdenken. »Doch am besten

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