Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
Vom Netzwerk:
all diejenigen, welche Obskurantismus und Mirakelsucht mit wahrem Christentum verwechseln.«
    Die Presbyterin holte tief Atem. »Doch nun genug davon! Schließlich sind wir nicht in diese Kirche gekommen, damit wir uns über das Patriarchat ärgern, sondern um den guten Geist Petri und der Töchter der Senatorenfamilie zu spüren, die hier einst wirkten.«
    »Du hast recht«, stimmte Branwyn zu; gleich darauf schloß sie die Augen und erinnerte sich einmal mehr an das, was Angela ihr während ihres ersten Besuches hier über den jüdischen Glaubensboten Simon Kephas sowie dessen Schülerinnen Praxedis und Pudentia erzählt hatte.
    Lange saßen die beiden Frauen schweigend da und ließen die wohltätige Stille des Gotteshauses auf sich wirken. Erst am Spätnachmittag verließen sie die Kirche wieder, stiegen den Esquilinhügel hinab, passierten den gigantischen Rundbau des Kolosseums und setzten ihren Weg über den Palatin in Richtung der über die Insula Tiberina führenden Strombrücke fort.
    Ungefähr eine halbe Meile vor dem Flußübergang gelangten sie auf das Forum Romanum: den weiten Platz, wo in der Frühzeit der Stadt, ehe alle Macht in die Hände der Imperatoren gelangt war, die großen Volksversammlungen stattgefunden hatten. Später war das Forum zu einem der wichtigsten römischen Marktplätze geworden; auch heute herrschte reges Treiben, und Calpurnia nutzte die Gelegenheit, um an einem der Stände ein Netz mit frischem Obst zu kaufen. Danach schlenderten die Presbyterin und ihre Begleiterin zu einer Stelle weiter, an der sich zahlreiche Bürger drängten; offenbar gab es dort irgend etwas Interessantes zu sehen.
    Neugier malte sich auf Branwyns Antlitz, doch dann, als sie nur noch ein Dutzend Schritte von dem Menschenauflauf entfernt waren, blieb sie plötzlich wie erstarrt stehen. Das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren – und schuld daran war der Anblick eines Mannes, dem sie nie wieder hatte begegnen wollen.

Die Taufe
    Erschrocken griff Calpurnia nach dem Arm ihrer Freundin. »Um Gottes willen! Was ist los mit dir?!«
    Branwyn bemühte sich, zu antworten, aber sie brachte keinen Ton zustande. Sie vermochte lediglich mit zitternder Hand auf den Mann zu deuten, der ein Stück weiter vorne auf einem flachen Steinpodest zwischen einigen Säulenstümpfen stand und mit großen Gesten auf die etwa hundert Menschen einsprach, die sich um ihn scharten. Direkt neben der improvisierten Tribüne war eine Art Marktkarren mit heruntergeklappter Lade abgestellt; mehrere kräftige Kerle, die offenbar zu dem Redner gehörten, schienen das Gefährt, in dem sich wohl wertvolle Waren befanden, zu bewachen. All dies machte keineswegs einen ungewöhnlichen Eindruck; es gab tagtäglich Dutzende derartiger Szenen auf dem Forum zu beobachten, und deshalb begriff die Presbyterin nicht, was in ihre Begleiterin gefahren war – bis diese nun doch ihre Sprache wiederfand.
    Branwyn keuchte einen Namen heraus; kaum hatte sie ihn vernommen, erbleichte auch Calpurnia und vergewisserte sich: »Täuschst du dich bestimmt nicht?!«
    »Nein!« beteuerte Branwyn. »Er ist es! Es ist der Mann, der mich vor zwei Jahren bei der Überquerung der Grajischen Alpen so skrupellos im Stich ließ!«
    »Paulinus Lupus, welcher damals aus purem Eigennutz deinen Tod in Kauf genommen hätte!« Äußerste Empörung schwang in der Stimme der Presbyterin mit. »Komm! Wir fordern augenblicklich Rechenschaft von ihm!«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie Branwyn weiter. Wie benommen ging die jüngere Frau neben ihr her; gleich darauf schlugen zwei Sätze des Handelsherrn an ihr Ohr, die sie zusätzlich erschütterten.
    »Wer unter euch also sein ewiges Seelenheil sichern will, sollte nicht zögern, einen Splitter vom Kreuze Christi zu erwerben!« rief Paulinus Lupus. »Nichts birgt größere Gnadenfülle in sich als ein Span von jenem Holz, an dem unser aller Erlöser starb!«
    Jäh riß Branwyn sich von Calpurnia los, drängte sich zwischen die Schaulustigen und schleuderte dem Händler entgegen: »Einklang mit dem Göttlichen gewinnen wir durch Humanität und Nächstenliebe! Keinesfalls jedoch, indem wir uns der Abgötterei des Reliquienkults hingeben und uns denen ausliefern, die um ihrer Profitgier willen belügen und betrügen!«
    Paulinus fuhr herum, machte die Frau in der Menge aus, die ihn herausgefordert hatte, und schrie wütend in ihre Richtung: »Schweig, du dummes Weib, ehe ich dich beim Patriarchat verklage! Denn aus dir spricht

Weitere Kostenlose Bücher