Die Bischöfin von Rom
Weinkrügen und Brotlaiben zurück. Andere brachten Trinkgefäße aus den umliegenden Häusern heran, und dann teilten sich alle Anwesenden nach altem christlichen Brauch Brot und Wein.
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Da sie seit beinahe drei Jahren mit der Gemeindearbeit vertraut war, fiel es Branwyn nicht schwer, die ihr übertragenen Pflichten zu meistern. Ganz in dem Sinne, wie sie es versprochen hatte, nahm sie die Geschicke des Kirchensprengels in die Hand und blieb dabei bescheiden wie eh und je.
Obwohl sie jetzt aus dem Spendenaufkommen der Gläubigen von Trans Tiberim eine Aufwandsentschädigung erhielt, die es ihr erlaubt hätte, sich eine eigene Wohnung zu nehmen, verzichtete sie darauf und begnügte sich weiterhin mit ihrem Zimmer unter dem Dach des Atriumhauses, das Camilla und Gaius geerbt hatten. Allerdings hatte sie dem Ehepaar gleich im Januar angeboten, künftig Miete zu bezahlen; die beiden waren damit freilich nicht einverstanden gewesen und hatten darauf bestanden, daß Branwyn, in der sie längst ein Familienmitglied sahen, wie bisher auch unentgeltlich bei ihnen wohnen sollte. Daraufhin hatte Branwyn sich entschlossen, das eingesparte Geld dem Waisenheim zur Verfügung zu stellen; dort war immer Bedarf, und möglicherweise konnten die regelmäßigen Zuwendungen eines Tages als Grundstock für eine Erweiterung dienen.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht plante die junge Presbyterin von Sancta Maria für die Zukunft; auch anderweitig hatte sie Pläne, die über das bisher Erreichte hinausgingen. So überraschte sie die Gemeindemitglieder schon im März nach ihrer Wahl mit dem Vorschlag, einen Betreuungsdienst für alleinstehende alte Menschen einzurichten. Bis zum Mai war die Finanzierung dank etlicher Mäzene, die Branwyn zu diesem karitativen Engagement überredet hatte, gesichert. Von da an brachte täglich einmal eine Gruppe von Freiwilligen, darunter Jugendliche aus dem Waisenhaus, warmes Essen, das in der Küche des Hospitals mit zubereitet wurde, zu den gebrechlichen Bewohnern des Viertels. Zu Beginn des Sommers waren daraus bereits die ersten Freundschaften entstanden, so daß die Alten – doch nicht weniger jene, die sich um sie kümmerten – zusätzlich seelischen Gewinn hatten.
Es war eine besondere Freude für Branwyn, als ihr Silvia, mit der sie sich nach wie vor regelmäßig traf, eines Sonntags im Juni mitteilte: »Meine Gemeinde auf dem Esquilin hat sich ebenfalls dazu entschlossen, einen Altenpflegedienst nach dem Vorbild von Trans Tiberim zu organisieren. Außerdem denkt man, wie ich hörte, im Kirchensprengel der Arianer von Sanctus Andreas auf dem Quirinalhügel darüber nach, und ich vermute, das gute Beispiel, das ihr in Sancta Maria gegeben habt, wird auf Dauer noch in anderen Gemeinden Schule machen.«
In der Tat kamen im Lauf der folgenden Wochen sowohl der Priester von Sanctus Andreas als auch ein arianischer Kirchenvorsteher vom Viminalhügel zu Branwyn, um Rat für eigene Fürsorgemaßnahmen zugunsten der Alten einzuholen. Die junge Presbyterin gab ihren Besuchern wertvolle Hinweise und erfuhr ihrerseits, daß die Arianer in verstärkter Sozialarbeit das beste Mittel sahen, um dem Machtanspruch des Patriarchats friedlichen Widerstand entgegenzusetzen.
Dem konnte Branwyn nur zustimmen; um so verwirrter freilich fühlte sie sich, als sie an einem Sonntagabend Ende Juli mit einem Mann zusammentraf, der im päpstlichen Dienst stand – und sie dennoch vom ersten Augenblick an zutiefst faszinierte.
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Branwyn kniete vor dem Altar der Kirche in Trans Tiberim; ihre Hände lagen flach auf dem uralten Steinblock, der einst der ägyptischen Isis und damit der Großen Göttin geweiht worden war. Die achtundzwanzigjährige Presbyterin spürte die unzerstörbare Ausstrahlung des Altarsteins und bemühte sich, in ihrem Inneren den Einklang zwischen dem Wesen der Gottheit und der liebevollen Botschaft Jesu, die ein Funke des göttlichen Geistes war, herzustellen. Nach einer Weile empfand sie, wie die Brücke vom Ewigen zum Menschlichen geschlagen wurde und beides sich verflocht. Beglückt gab sie sich dem Gefühl hin, in diesem wärmenden Netzwerk geborgen zu sein; in ihrer Entrückung wurde die Zeit bedeutungslos für sie – bis ein Geräusch sie in die Realität des Diesseits zurückholte.
Die junge Frau in dem hellen Leinenkleid, dessen einziger Schmuck eine in blauen und roten Farben gemusterte Borte um den Halsausschnitt war, verharrte noch einige Atemzüge lang in ihrer knienden Haltung.
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