Die Bischöfin von Rom
mehrere hundert Menschen drängten sich auf dem unweit der Kirche Sancta Maria gelegenen Friedhof. Vom Esquilin war Silvia zusammen mit einer Abordnung ihrer Gemeinde gekommen; gemeinsam mit Branwyn sprach die Presbyterin von Sancta Praxedis ein letztes Gebet für Calpurnia, ehe die Totengräber darangingen, das Grab zu schließen.
Der Tod ihrer vertrauten Freundin, die sie in ihrem Haus aufgenommen und ihr dort ein Heim geschenkt hatte, war ein furchtbarer Schlag für Branwyn. Während der knapp drei Jahre, die sie sich gekannt hatten, war Calpurnia beinahe wie eine Mutter für sie gewesen. Jetzt, da eine Schaufel Erde nach der anderen auf den Sarg der Presbyterin polterte, empfand die junge Frau den Verlust noch stärker als in jenem Moment, in dem sie der Verstorbenen behutsam die Augen zugedrückt hatte. Aber sie durfte ihrem Schmerz nicht nachgeben und ihren Tränen freien Lauf lassen; vielmehr mußte sie nun, da die Beerdigung vorüber war, eine weitere Pflicht erfüllen. Unmittelbar vor der Beisetzung nämlich hatte eine Delegation der Gemeindemitglieder von Sancta Maria sie gebeten, nach der Zeremonie eine Versammlung in der Kirche zu leiten. Bei dieser Zusammenkunft sollte besprochen werden, wie es nach dem Tod Calpurnias weitergehen würde, und weil Branwyn besser als die meisten anderen wußte, wie drängend diese Frage in der Tat war, hatte sie unmöglich ablehnen können.
Sie warf einen letzten Blick in das Grab, dann legte sie den Arm um die Schultern der schluchzenden Angela und führte sie fort. Gaius und Camilla folgten, an ihrer Seite ging Silvia; viele andere Frauen und Männer schlossen sich ihnen an, als sie den Weg zum Gotteshaus einschlugen.
Die Kirche vermochte die große Zahl der Gläubigen kaum zu fassen. Dutzende fanden zunächst keinen Sitzplatz, bis die Kinder und Jugendlichen aus dem Waisenhaus, die allesamt darauf bestanden hatten, an der Beerdigung teilzunehmen, zusätzliche Schemel und Stühle aus den umliegenden Häusern heranschleppten.
Nachdem Ruhe eingekehrt war, trat Branwyn vor den Altar. Sie richtete den Blick auf die Angehörigen der verstorbenen Presbyterin und Silvia, die in der ersten Reihe saßen; erst als sie das Einverständnis dieser vier Menschen spürte, hob sie den Kopf und sagte mit fester Stimme: »Wir haben uns zusammengefunden, um etwas zu beraten, das keinen Aufschub duldet. Durch den Tod Calpurnias verlor unsere Gemeinde ihre Vorsteherin, und wir stimmen wohl alle darin überein, daß wir das Amt so rasch wie möglich wieder besetzen müssen. Sonst nämlich könnte das Patriarchat darauf verfallen, uns einen seiner Kleriker als Priester von Sancta Maria aufzuzwingen. Was das aber heißen würde, haben wir am Beispiel des Kirchensprengels Sancta Magdalena gesehen …«
Sie wartete ab, bis sich die jäh entstandene Unruhe unter den Versammlungsteilnehmern gelegt hatte, und fuhr fort: »Ich stehe hier vor euch, weil eine Abordnung der Gemeinde mich darum ersucht hat. Diese Frauen und Männer machten mir vor der Beisetzung Calpurnias auch deutlich, es sei ihr Wunsch, daß ich für das Priesteramt kandidieren solle …«
»Ja, das sollst du!« – »Wir bitten dich darum!« – »Du sollst unsere neue Presbyterin sein!« kam es von mehreren Seiten.
Branwyn hob die Hand, sofort kehrte wieder Schweigen ein. »Ich danke euch für euer Vertrauen. Und ich will keine Überraschung heucheln, denn ich wurde von Calpurnia selbst auf diese Stunde vorbereitet. Vergangenen November, einen Tag nachdem sie hier am Altar zusammengebrochen war, spendete sie mir die Priesterweihe. Sie tat es, weil sie sich wünschte, daß ich dereinst ihre Nachfolge antreten sollte; ich weiß ferner, daß Handauflegung und Salbung kein Geheimnis blieben. Da ich das Sakrament empfangen habe, darf ich mich um das Amt der Presbyterin von Sancta Maria bewerben – und ich möchte es tun, denn ich versprach Calpurnia, ihr Werk weiterzuführen …«
»Dann tue es!« – »Wir wollen dich zur Priesterin haben!« – »Es ist der Wille der Toten, die wir alle liebten!« klangen neuerlich die zustimmenden Rufe auf.
Abermals brachte Branwyn die Menschen im Kirchenschiff durch eine Geste zur Ruhe. »Ich sagte euch, daß ich mich zur Wahl stelle – doch ich möchte anderen römischen Geweihten gegenüber, die nach altem Brauch ebenfalls das Recht der Kandidatur besitzen, keinen unlauteren Vorteil haben. Schließlich ist heute keineswegs die gesamte Gemeinde von Sancta Maria versammelt. Viele
Weitere Kostenlose Bücher