Die Bischöfin von Rom
ihm jetzt, da er von der Göttin gesprochen hatte, vertraute, ging ihm die paar Schritte voran. In der Nische setzte sie sich auf die Einfassung des eingetrockneten Borns und bedeutete Acacius, ebenfalls Platz zu nehmen.
Nahe bei ihr ließ er sich nieder, vergewisserte sich durch einen prüfenden Blick in Richtung des Kirchenportals, daß sie nach wie vor allein waren, und begann: »Du sagtest mir vorhin, du seist alles andere als eine Anhängerin des Patriarchats – und wie du wahrscheinlich bereits ahnst, teile ich deine Einstellung. Auch ich halte die Amtsführung des Papstes für unchristlich. Seine Intoleranz und rigide Machtpolitik widersprechen der Lehre Jesu, und seine brutalen Versuche, das athanasianische Dogma von der Göttlichkeit Christi durchzusetzen, stehen im Gegensatz zu dem, was beinahe drei Jahrhunderte lang von der gesamten Christenheit geglaubt wurde …«
»Das alles hört sich an, als wärst du Arianer«, unterbrach Branwyn. »Ist es so? Gehörst du, obwohl du für das Patriarchat tätig bist, heimlich dieser Glaubensrichtung an?«
»Und du? Bist du eine Anhängerin des Presbyters Arius?« lautete die Gegenfrage.
Branwyn schüttelte den Kopf. »Für mich zählen nicht theologische Thesen, sondern allein die Werte der Menschlichkeit und Barmherzigkeit, so wie sie in den Evangelien zum Ausdruck kommen.«
»Ich denke genauso«, bekannte Acacius. »Wahres Christentum besteht darin, das Ideal der Nächstenliebe im täglichen Leben zu verwirklichen. Der Starke soll dem Schwachen zur Seite stehen, der Gesunde dem Kranken, der Wohlhabende dem Armen und der Wissende dem Unwissenden. Dies sind die Bausteine, aus denen das Haus Gottes auf Erden errichtet werden kann; so predigten es Jesus und seine Nachfolger, die Apostel, und aus solchen Wurzeln wuchs der Baum der Kirche auf. Jener Baum, unter dessen Ästen Platz für jeden Menschen guten Willens war und der ein Vierteljahrtausend lang gedieh – bis in unserem Jahrhundert Despoten wie Liberius darangingen, die Axt an seinen Stamm zu legen.«
»Das Patriarchat richtet in der Tat fürchterlichen Schaden an!« pflichtete Branwyn dem Notarius bei.
»Aber es war nicht immer so!« rief Acacius leidenschaftlich aus. Leiser, weil Branwyn eine warnende Geste gemacht hatte, fuhr er fort: »In früheren Zeiten standen Patriarchen an der Spitze der römischen Kirche, die sich nach Kräften bemühten, fürsorgliche Väter für die Gläubigen zu sein. Sie lebten in bescheidenen Häusern und besaßen weder Reichtum noch Macht; sie trachteten einzig danach, den Gemeinden, die sich ihrer Führung anvertraut hatten, zu dienen …«
»Das klingt gut, trotzdem stört mich etwas daran«, warf Branwyn ein.
»Was?« fragte Acacius.
»Daß das Amt stets in den Händen von Männern lag«, antwortete die junge Presbyterin. »Ganz offensichtlich wurden doch, indem man die Kirchenführung als Patriarchat bezeichnete, die Frauen bewußt ausgeschlossen.«
»Im Prinzip hast du recht«, stimmte der Notarius ihr nach kurzem Überlegen zu. »Und vielleicht liegt darin sogar die Ursache, warum es zu der beklagenswerten Fehlentwicklung kam. Denn der verderbliche Drang zur Machtausübung scheint im männlichen Charakter stärker ausgeprägt zu sein als im weiblichen …«
»Es gibt auch Frauen, die der Versuchung erliegen, andere zu unterdrücken«, schränkte Branwyn ein. »Doch grundsätzlich bin ich der Meinung, daß es falsch ist, stets nur Männer an die Spitze der Kirche zu stellen.«
»Du selbst bist das beste Beispiel dafür, was Priesterinnen zu leisten vermögen«, nickte Acacius. »Und weshalb sollte eine Presbyterin, die sich um ihre Gemeinde verdient gemacht hat, nicht Bischöfin oder gar Päpstin werden? Ich jedenfalls wäre dafür, die Türen weit zu öffnen – ehe das freilich möglich sein wird, muß ein Umschwung im Patriarchat stattfinden …«
»Du hältst das für denkbar?« fiel ihm Branwyn ins Wort.
»Ja, das tue ich!« Einmal mehr schienen die dunklen Augen des Notarius sie zu bannen. »Und weil es keinen anderen Ausweg gibt, habe ich mir vorgenommen, dafür zu kämpfen! Ich und einige Freunde, die ebenfalls in den Diensten des Patriarchats stehen, sind bereit, alles zu tun, um …«
Branwyn beugte sich erschrocken vor und flüsterte: »Du sprichst doch nicht etwa von einem Attentat?!«
»Nein, wir verabscheuen Gewalt«, beruhigte Acacius sie. »Doch es gibt andere Mittel, um zum Ziel zu kommen. Du kennst das weise Wort, wonach das weiche
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