Die Bischöfin von Rom
du die Priesterweihe von mir annehmen willst. Doch jetzt, fürchte ich, wirst du dich entscheiden müssen!«
In einer ersten Regung wollte Branwyn widersprechen, dann jedoch nickte sie und antwortete leise: »Ich weiß, es ist dein sehnlichster Wunsch, deswegen möchte ich ihn dir erfüllen.«
»Aus freiem Willen? Und weil du in deinem Innersten spürst, daß es richtig ist?« vergewisserte sich Calpurnia.
Als Branwyn bejahte, leuchteten die Augen der alten Frau in tiefer Dankbarkeit auf. »Ich hoffte so sehr darauf!« bekannte sie. »Und nun, wo du dich entschlossen hast, bitte ich dich: Laß uns keine Zeit mehr verlieren! Keinen Tag länger als nötig! – Zwar bin ich heute nicht imstande dazu, aber morgen werde ich kräftig genug sein …«
Erneut wollte Branwyn einen Einwand machen, doch es war etwas im Blick Calpurnias, das sie abermals davon abhielt. »Es soll geschehen, wie du willst«, entgegnete sie.
»Gut!« lächelte die Presbyterin, danach erklärte sie ihrer Freundin, was zuvor noch zu veranlassen war.
Branwyn versprach, das Nötige in die Wege zu leiten, und setzte hinzu: »Du wirst mir das Sakrament spenden, aber das bedeutet nicht, daß du dich aufgeben darfst! Ganz im Gegenteil mußt du dich bemühen, so schnell wie möglich wieder gesund zu werden! Du wirst dich also sehr schonen und dich meinen Anordnungen fügen; ich meinerseits will alles zu deiner Pflege tun!«
»Ja, das wirst du«, entgegnete Calpurnia mit weicher Stimme; gleich darauf, als Branwyn zärtlich über ihre Stirn strich, fielen ihr die Lider zu, und sie schlief neuerlich ein.
***
Am folgenden Nachmittag – Branwyn hatte ihr alle sechs Stunden eine genau bemessene Dosis von dem Digitalis-Sud eingegeben – wirkte Calpurnia tatsächlich etwas erholt. Aufrecht saß sie im Bett, als ihre Tochter Camilla, ihr Schwiegersohn Gaius und Angela hereinkamen; zusammen mit ihnen betraten die Presbyterin Silvia und Branwyn den Raum.
Während die vier Zeugen sich am Fußende der Bettstatt aufstellten, kniete Branwyn zur Rechten Calpurnias nieder. Die Kranke faltete die Hände und sprach in tiefer Versunkenheit ein stilles Gebet, anschließend wandte sie sich Branwyn zu und fragte: »Bist du bereit?«
»Ja, ich bin bereit!« antwortete die junge Frau.
Die Presbyterin von Sancta Maria, in deren Augen jetzt ein sehr weicher Ausdruck war, hob die Hand, legte sie auf Branwyns Haupt und sprach dabei die Worte: »Im Frühling taufte ich dich und gab dir den christlichen Beinamen Theodora. Nun, da das Jahr sich neigt, weihe ich dich im Namen Jesu zur Priesterin und rufe dich auf, seine Lehre der Nächstenliebe, die im Einklang mit dem Wesen des Göttlichen steht, an alle Menschen guten Willens weiterzugeben.«
»Mit meiner ganzen Kraft werde ich mich darum bemühen!« erwiderte Branwyn.
Nachdem sie das Gelöbnis geleistet hatte, kam Silvia heran und reichte Calpurnia ein Fläschchen mit Chrisam. Die grauhaarige Presbyterin öffnete es, benetzte einen Finger mit dem sakralen Öl und betupfte Stirn und Schläfen der jungen Frau. Danach sagte sie: »Sowohl meine Familie als auch die Priesterin von Sancta Praxedis können bezeugen, daß du die Weihe empfangen hast und damit in den Kreis der christlichen Priesterschaft aufgenommen bist!«
Spätestens da begriff Branwyn die ganze Tragweite des Geschehens; für einen Moment empfand sie Furcht. Doch dann küßte Calpurnia ihre Freundin; auch Silvia zog sie in ihre Arme, desgleichen taten Camilla, Gaius und Angela – und angesichts dieser herzlichen Zuwendung fühlte sich Branwyn aufgefangen und behütet.
Acacius
An jenem Novembernachmittag, da Branwyn im kleinen Kreis durch Handauflegung und Salbung zur christlichen Priesterin geweiht worden war, hatten alle Anwesenden gehofft, daß die betagte Presbyterin sich von ihrem Herzanfall erholen würde. Doch schon wenige Tage später erlitt sie trotz der aufopfernden Pflege, die ihr zuteil wurde, eine zweite Attacke. Im Verlauf der folgenden Wochen verschlechterte sich ihr Zustand rapide; weitere Anfälle kamen in immer kürzeren Abständen, und Branwyn mußte der Schwerkranken von Mal zu Mal höhere Dosen des Digitalis-Suds verabreichen, um sie wenigstens vorübergehend von ihren Schmerzen zu befreien. Ende Dezember dann fiel Calpurnia in Agonie und verstarb, ohne noch einmal zu sich gekommen zu sein, Mitte Januar des neuen Jahres 360.
Die Beisetzung fand unter außerordentlich großer Anteilnahme der Bevölkerung von Trans Tiberim statt;
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