Die Bischöfin von Rom
Erst als sie das jähe Unbehagen wegen der Störung überwunden hatte, richtete sie sich auf und blickte zur Eingangstür des Gotteshauses.
Im selben Moment glaubte sie, eine Erscheinung zu erleben: eine Vision, die Nachhall ihrer Meditation war. Die Gestalt des großen, schlanken Mannes unter dem Portal war von einer rotgoldenen Aureole umgeben; in scharfem Kontrast dazu stand sein dunkles Gewand. Branwyn starrte ihn an und gleich darauf, als der Unbekannte sich bewegte, begriff sie, daß das Licht des Sonnenunterganges in seinem Rücken den schier andersweltlichen Eindruck hervorgerufen hatte.
Nun, da der hochgewachsene Mann sich ihr näherte, erkannte sie Einzelheiten. Der Fremde mochte Anfang dreißig sein; seine Kleidung war unaufdringlich, aber von makellosem Schnitt; lockiges schwarzes Haar umrahmte die hohe Stirn, und sein Gesicht wirkte markant. Zuletzt, als er bis auf wenige Schritte herangekommen war, fielen der jungen Frau seine anziehenden braunen Augen und der sensible Mund auf; lächelnd musterte er sie, dann vernahm sie seine Stimme: »Du mußt Theodora sein. Die Presbyterin dieser Kirche, von der man soviel Gutes hört.«
Sie kämpfte gegen die seltsame Verwirrung an, die seine Nähe in ihr hervorrief. »Auf diesen Namen wurde ich getauft«, murmelte sie. »Doch eigentlich heiße ich Branwyn …«
»Dann werde ich dich so nennen«, erwiderte er. »Und bitte verzeih, daß ich mich nicht zuerst vorstellte.« Er reichte ihr die Hand. »Ich bin Acacius und freue mich von Herzen, dich kennenzulernen.«
Seine Worte und dazu die körperliche Berührung steigerten ihren inneren Aufruhr noch; hinzu kam der Drang, mehr über diesen Mann zu erfahren.
Langsam löste sie den Händedruck und fragte: »Du lebst nicht hier in diesem Stadtteil, oder?«
»Nein, ich komme vom Lateran«, antwortete er.
Branwyn zuckte zusammen, ihre Gedanken jagten sich. Er wiederum bemerkte sofort, was in ihr vorging, und erkundigte sich in fürsorglichem Tonfall: »Aber warum erschreckt dich das?«
Sie preßte die Lippen zusammen, dann gab sie sich einen Ruck und erwiderte: »Weil sich dort das Patriarchat befindet. Doch ich nehme nicht an, daß du …«
»Daß ich mit dem Patriarchen von Rom zu tun habe?« Die dunklen Augen schienen sie zu bannen. »Und wenn es so wäre?«
»Falls du im Auftrag des Papstes hier wärst, würde es mir sehr schwerfallen, dir zu vertrauen!« entgegnete Branwyn.
Acacius zögerte kurz, ehe er erklärte: »Auch auf die Gefahr hin, dich zu verprellen, will ich ehrlich sein. – Ich stehe tatsächlich in Liberius' Diensten.«
In einer ersten spontanen Regung wollte die junge Frau sich brüsk abwenden. Einen Lidschlag später jedoch sagte sie sich, daß er dies angesichts seiner Offenheit nicht verdiente, und stieß hervor: »Was hat ein Mann wie du mit dem Papst zu schaffen?«
»Ich arbeite als Notarius im Lateranpalast«, lautete die Antwort.
»Als Schreiber und Archivar!« Branwyns Tonfall drückte ihre Erleichterung aus. »Also bist du zumindest keiner jener unduldsamen Theologen des Liberius!«
»Das verhüte Gott!« Acacius zwinkerte ihr zu. »Und was meinen Besuch hier in Sancta Maria angeht, so wissen weder der Papst noch einer seiner Kleriker davon. Ich dachte mir, es wäre besser, ihnen den Grund meines kleinen Ausflugs nicht auf die Nase zu binden …«
Branwyn erinnerte sich an die Sätze, mit denen er sie begrüßt hatte. »Heißt das, du kamst meinetwegen? Obwohl dir bekannt ist, daß ich alles andere als eine Anhängerin des Patriarchats bin?«
»Gerade weil du in diesem Ruf stehst, lag mir daran, Kontakt mit dir aufzunehmen«, bekräftigte er.
Wieder nahm die intensive Ausstrahlung seiner braunen Augen sie gefangen: »Wenn es so ist, solltest du mir deine Beweggründe näher erläutern.«
»Das will ich gerne tun!« Er deutete auf die Mauernische hinter dem Altar, wo sich die versiegte Ölquelle befand. »Vielleicht dort, wo die Geburt Jesu von einer weisen Frau, die vermutlich eine Priesterin der Göttin Isis war, prophezeit wurde …«
»Du weißt davon?« wunderte sich Branwyn.
»Sofern man die Geschichte dieser Kirche kennt, ist es nicht schwer, den wahren Kern ihrer Gründungslegende herauszufinden«, erwiderte er mit feinem Lächeln. »Und weil ich persönlich diese Verknüpfung von Heidentum und christlichem Glauben durchaus billige, fände ich es schön, an jenem Platz, an dem einst die Isis-Priesterin weissagte, mit dir zu reden.«
»Dann komm!« Branwyn, die
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