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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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zutiefst menschlichen Geste endete die Zusammenkunft in Sancta Praxedis.
    ***
    Am Abend des folgenden Tages, bei der kurzfristig einberufenen Versammlung in der Kirche Sancta Maria, kam es genauso, wie Silvia vorhergesagt hatte. Kaum hatte Branwyn ihre Gemeinde über die bevorstehende Bischofswahl informiert, wurde sie von allen Seiten bestürmt, sich als Kandidatin zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus hatten einige der Gläubigen offenbar bereits vom Vorschlag Silvias erfahren, und Angela gab der allgemeinen Stimmung Ausdruck, als sie in ihrer unverblümten Art forderte: »Du mußt es einfach akzeptieren, wenn wir und dazu die Leute von Sancta Praxedis dich unbedingt zur Bischöfin haben wollen! Eine geeignetere Bewerberin als dich gibt es nicht, und wenn du ehrlich bist, mußt du das selbst eingestehen!«
    »Außerdem bist du es Calpurnia schuldig, die dich taufte, dir die Priesterweihe spendete und stets davon überzeugt war, daß du zu noch Höherem berufen bist!« stieß Camilla, die Tochter der verstorbenen Presbyterin, ins selbe Horn, und sofort stimmten ihr zahlreiche weitere Gemeindemitglieder zu.
    Ähnlich wie in Sancta Praxedis brachte Branwyn eine Reihe von Einwänden vor; zuletzt freilich blieb ihr nichts anderes übrig, als den Gläubigen zu versprechen, eine Kandidatur ernsthaft in Erwägung zu ziehen. »Verlangt aber um Gottes willen nicht schon morgen eine Entscheidung von mir!« bat sie. »Ich habe ja auch erst gestern von allem erfahren und muß zunächst mit mir selbst ins reine kommen. Laßt mir also ein paar Wochen Zeit; schließlich läuft die Frist zur Nominierung der Bewerber bis Ende April, und bis dahin hoffe ich, Klarheit gewonnen zu haben.«
    Damit mußten die Angehörigen ihrer Gemeinde sich zufriedengeben; nach einem gemeinsamen Gebet schloß Branwyn die Versammlung und ging mit Angela, Camilla und Gaius nach Hause. Dort flackerte die Diskussion von neuem auf; es wurde Mitternacht, ehe Branwyn sich endlich zurückziehen konnte. Erschöpft, aber ohne Schlaf zu finden, lag sie im Bett; ihre Gedanken rasten, und erst gegen Morgen forderte die Natur ihr Recht. Zeitig, weil sie Unterricht in der Schule halten mußte, war sie wieder auf den Beinen – und von diesem Tag an hatte sie keine ruhige Minute mehr.
    Obwohl diejenigen, die bei den Zusammenkünften in Sancta Praxedis und Sancta Maria dabeigewesen waren, ihr Bedenkzeit eingeräumt hatten, kamen von früh bis spät Besucher ins Atriumhaus oder in die anderen Gebäude, in denen sie sich gerade aufhielt, und bemühten sich, Branwyn zur Kandidatur zu überreden. Teils handelte es sich dabei um Frauen und Männer aus Trans Tiberim; viele stammten jedoch aus anderen Stadtteilen, selbst solchen, die am entgegengesetzten Ende Roms lagen. Immer wieder spürte die junge Presbyterin, welch großes, oft rückhaltloses Vertrauen ihr entgegengebracht wurde. Manchmal erschrak sie beinahe darüber und hatte dann das beklemmende Empfinden, daß diejenigen, die sie zur Bischöfin haben wollten, zuviel oder gar Unmögliches von ihr erwarteten. Besonders in solchen Momenten wurde ihr bewußt, welch ungeheure Verpflichtung sie auf sich nehmen würde, falls sie kandidierte und gewählt wurde – und besonders dann, wenn sie sich das Ausmaß dieser Verantwortung ausmalte, litt sie unter Ängsten und Selbstzweifeln.
    Sie war eine der jüngsten Priesterinnen der Millionenstadt; sie zählte gerade erst neunundzwanzig Jahre und fühlte sich mit den vielfältigen Pflichten, die sie in Sancta Maria wahrzunehmen hatte, häufig genug bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausgelastet. Deshalb vermochte sie sich nur schwer vorzustellen, die ungleich größere Bürde zu tragen, die das Bischofsamt ihr auferlegen würde. Branwyn fürchtete, die Abertausend Gläubigen, denen ihre Sorge gelten müßte, zu enttäuschen; wie, so fragte sie sich, sollte sie dann noch auf die Sorgen und Nöte jedes Einzelnen eingehen können?
    Außerdem – und dieses Problem schien ihr oftmals am schwerwiegendsten – war da ihre Liebe zu Acacius. Bis hierher schon hatten sie bedeutend weniger Zeit als andere Paare für sich gehabt; nun, in diesen Aprilwochen, da es im Atriumhaus wie in einem Taubenschlag zuging, konnten sie sich höchstens einmal für eine gestohlene Stunde treffen. Sobald Branwyn an den behaglichen Raum im Rückgebäude des Hauses zwischen Capitol- und Palatinhügel dachte, fühlte sie einen Stich im Herzen; seit jener Zusammenkunft in Sancta Praxedis war

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