Die Bischöfin von Rom
es ihr nicht mehr vergönnt gewesen, eine gemeinsame Nacht mit Acacius zu verbringen. Noch hatte er sich deswegen nicht beklagt, aber wenn sie jetzt bei ihm war, glaubte sie, seine wachsende Verstimmung zu spüren. Zudem hatte er ihr gleich in den ersten Tagen ihres Hinundhergerissenseins zu verstehen gegeben, daß ihm die Vorstellung, sie könnte tatsächlich ins Bischofsamt aufsteigen, keineswegs behagte, und als sie versucht hatte, mit ihm darüber zu diskutieren, war er ihr beinahe schroff ausgewichen.
Manchmal befürchtete Branwyn, ihre Beziehung könnte die Belastung auf Dauer nicht aushalten und zerbrechen. Jedesmal, wenn derartige Überlegungen sie quälten, war sie drauf und dran, zu Silvia zu laufen und der Freundin ihren Entschluß, nicht zur Wahl anzutreten, mitzuteilen. Doch gleich darauf sagte sie sich wieder, daß Acacius sie liebte und deshalb letztlich zu ihr halten würde, falls sie sich zur Kandidatur durchrang. Und bei anderen Gelegenheiten wieder, wenn sie einmal mehr Zweifel wegen ihres Alters befielen, führte sie sich andere Menschen vor Augen, die ebenso jung waren wie sie und dennoch große Verantwortung trugen: Julian zum Beispiel, den Feldherrn und designierten Nachfolger des Kaisers Konstantius, der gerade erst dreißig Jahre zählte und bereits mit fünfundzwanzig, als sie ihn in Gallien kennengelernt hatte, Tribun der dortigen Nordprovinzen gewesen war.
Solche Gedanken gaben Branwyn neuen Mut; vorübergehend war sie sich dann sicher, der Herausforderung sehr wohl gewachsen zu sein: der hohen Aufgabe, die darin bestand, der Bösartigkeit des Weißen Drachen die gute Kraft des Roten Drachen entgegenzusetzen. Schon in Avalon war sie ja darauf vorbereitet worden, diesen Kampf dereinst im Einklang mit dem Göttlichen aufzunehmen, und jetzt schien die Stunde gekommen, da die Vision, die sie damals, in der Samhainnacht vor sechs Jahren, erlebt hatte, sich erfüllen sollte. Insbesondere diese Erwägungen schenkten Branwyn Kraft und halfen ihr, die Anwandlungen von Unsicherheit und Angst zu überwinden.
Im Verlauf der zweiten Aprilhälfte wurde ihr die Vorstellung, an die Spitze der Gegner des Patriarchats zu treten, allmählich vertrauter; dies um so mehr, als die Zuwendung, die sie bekam, sich von Tag zu Tag weiter verstärkte. Ein zusätzlicher Grund, warum die junge Presbyterin von Sancta Maria immer mehr dahin tendierte, sich nicht länger zu verweigern, lag aber auch in den Aktivitäten des Lateran. Liberius und der päpstliche Klerus, die selbstverständlich längst Wind von der bevorstehenden Bischofswahl bekommen hatten, begannen jetzt auf ihre Art Widerstand zu leisten, und dies geschah oft auf infame Weise.
Von den Kanzeln der katholischen Kirchen erklangen Hetzpredigten; man drohte den Arianern und sonstigen vorgeblichen Ketzern, deren Handeln nach den Worten der Agitatoren von angeblich verbrecherischen Elementen wie Juden und Heiden gesteuert wurde, Höllenfeuer und ewige Verdammnis an. Häufiger als sonst marschierten schwerbewaffnete Einheiten thrakischer Söldner durch die Straßen Roms; gelegentlich tauchten Pöbelhaufen auf, die unversehens Steine gegen arianische oder andere, nicht dem Patriarchat unterstehende Gotteshäuser schleuderten. Doch im Gegensatz zu früher waren die Anwohner nunmehr auf der Hut und stellten sich den Randalierern entschlossen entgegen, so daß größere Ausschreitungen verhindert werden konnten. Die nichtkatholischen Gläubigen handelten so, weil sie angesichts des in Sancta Praxedis gefaßten Beschlusses Hoffnung geschöpft hatten: Hoffnung, die zum großen Teil auf der Presbyterin von Sancta Maria ruhte.
Das Wissen darum bewog Branwyn schließlich dazu, der Entscheidung nicht länger auszuweichen. Drei Tage vor dem letzten Aprilsonntag nahm sie sich vor, ihre Kandidatur bekanntzugeben; ehe dies freilich geschehen konnte, mußte sie sich unbedingt mit Acacius aussprechen. Da die Zeit drängte und sie erst am Montag der folgenden Woche wieder verabredet waren, entschloß sie sich, ihn in seinem Haus zwischen Lateranpalast und Celiushügel aufzusuchen. Um ihren Geliebten nicht in Gefahr zu bringen, war sie bisher noch nie dort gewesen; jetzt freilich blieb ihr nichts anderes übrig, als das Wagnis auf sich zu nehmen.
Branwyn wartete die Abenddämmerung ab, dann warf sie sich einen Kapuzenmantel über und verließ das Atriumhaus. Als sie das Celius-Viertel westlich des Lateran erreichte, war es fast völlig dunkel.
Sie überquerte den Hügel
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