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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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ihr beenden, sobald du deine Aufgabe erfüllst hast?«
    »Ich kann es kaum erwarten, ihr den Laufpaß zu geben«, entgegnete Acacius in höhnischem Tonfall. »Zwar ist sie leidlich hübsch und, sofern keine feurigere Liebhaberin zur Verfügung steht, zur Not auch im Bett zu gebrauchen, aber ansonsten langweilte ich mich die ganze Zeit über tödlich mit ihr. Hätte das Patriarchat mir nicht den Auftrag gegeben, mich an sie heranzumachen, um die Aktivitäten unserer Feinde auszuspionieren und ihnen zu schaden, so wäre es mir ganz bestimmt nicht eingefallen, einen Blick an sie zu verschwenden. Deshalb werde ich heilfroh sein, wenn ich diese fade Britannierin endlich vom Hals habe …«
    Branwyn, die durch den Türspalt jedes einzelne Wort des Gesprächs mitbekommen hatte, biß sich auf die Lippen, um ihre grenzenlose Enttäuschung nicht laut herauszuschreien. Innerhalb weniger Augenblick war eine Welt für sie zusammengebrochen; der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, war in Wahrheit ein skrupelloser und zutiefst abgefeimten Betrüger!
    Die junge Frau zitterte am ganzen Leib; für einen Moment verspürte sie den beinahe unwiderstehlichen Drang, in den Raum zu stürzen und Acacius ihre Verachtung entgegenzuschleudern. Doch dann beherrschte sie sich und taumelte durch den finsteren Flur zurück in den Garten und hinaus auf die Gasse. Weg! Nur weg von hier! hämmerte es in ihrem Kopf, und sie rannte los; rannte, bis sie den Celiushügel überquert hatte und die ersten Häuser des Palatinviertels vor ihr auftauchten. Erst dort blieb sie stehen, rang nach Luft und sank erschöpft auf einen Säulenstumpf am Straßenrand.
    Lange, sehr lange saß sie auf dem zerbrochenen Pilaster und weinte lautlos; die wenigen vorbeikommenden Passanten musterten sie mitleidig oder abfällig, aber niemand sprach sie an. Branwyn blieb allein in ihrem Schmerz; mehrmals stand sie im Begriff, sich aufzuraffen und weiterzulaufen: heim ins Atriumhaus oder hinüber nach Sancta Praxedis. Doch letztlich tat sie es nicht; sie scheute davor zurück, sich Angela, Camilla oder Silvia anzuvertrauen. In ihrer Verwirrung fürchtete sie, die Freundinnen mit in den Abgrund zu reißen, in dem sie sich von einer Minute auf die andere selbst wiedergefunden hatte; in ihrer Trostlosigkeit redete sie sich ein, die anderen nicht mit ihrer Pein belasten zu dürfen.
    Irgendwann schließlich erinnerte sie sich an eine Nacht, in der sie unter ähnlicher Verzweiflung gelitten hatte wie in dieser: an die endlose Nacht in den Grajischen Alpen, als sie sich – nachdem sie von Paulinus Lupus auf so brutale Weise im Stich gelassen worden war – schwerverletzt gegen das Wolfsrudel verteidigt hatte. Besinnungslos war sie im Morgengrauen zusammengebrochen, aber dann war auf einmal Haimo, der Jäger, bei ihr gewesen und hatte sie ins Dorf gebracht. Dort war sie in Agonie gefallen, doch zuletzt hatte sie das Antlitz einer Frau erblickt; das gütige, liebevolle Gesicht Samiras. Und jetzt glaubte sie die Sibylle wieder vor sich zu sehen: ihr langes schwarzes Haar, die hellen graugrünen Augen und die kleinen, dreifach sich hebenden und senkenden Wellenlinien, die über ihren Schläfen eintätowiert waren.
    Branwyn flüsterte den Namen der Freundin, die ihr zweimal das Leben gerettet hatte: zuerst in den Grajischen Alpen und wenige Monate darauf, als sie in den verschneiten Bergen Etruriens erneut schwer erkrankt war, abermals. In ihrer Höhle nahe des Bolsena-Sees hatte die Sibylle sie aufopfernd gepflegt und hatte ihr später in jenem Winter, nach ihrer Genesung, so unendlich viel Zärtlichkeit geschenkt; Zärtlichkeit und Verständnis, wie sie einzig zwischen Frauen möglich waren. Dies hatte ihr geholfen, den Abscheu vor den Männern zu überwinden: den Haß auf Paulinus Lupus, der keinen Augenblick gezögert hatte, sie in der Wildnis auszusetzen – und nun, da Samira ihr plötzlich wieder ganz nahe zu sein schien, drängte alles sie dazu, jenes zutiefst weibliche Verständnis und jene tröstende Zärtlichkeit von neuem zu finden.
    Branwyn erhob sich; während sie die Richtung zum Tiber einschlug, raunte sie im Selbstgespräch: »Beim Abschied vor vier Jahren habe ich es Samira versprochen … Ich habe ihr versprochen, eines Tages zu ihr zurückzukehren, und jetzt ist die Zeit gekommen … Ich muß es nur schaffen, ungesehen in mein Zimmer im Atriumhaus zu gelangen, ein paar Sachen zusammenzupacken, eine Nachricht für Angela, Camilla und Gaius zu hinterlassen und wieder

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