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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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musterte die Sibylle das Antlitz der Freundin, endlich antwortete sie: »Ich glaube, das ist nicht die eigentliche Frage.«
    »Warum?« kam es von Branwyn.
    »Weil du sehr viel Mut und Kraft besitzt!« erwiderte Samira. »Deshalb wirst du letztlich nicht vor der Aufgabe zurückweichen, welche die Göttin dir übertrug!«
    Der Widerstreit von Licht und Finsternis an den Höhlenwänden schien sich zu verstärken. Im selben Moment hatte Branwyn den Eindruck, sich wieder in Avalon zu befinden: in der heiligen Grotte im Inneren des Twr, wo sie in jener Samhainnacht vor fünf Jahren ihre Vision erlebt hatte – und jetzt war ihr, als vernähme sie abermals die Worte Ceridwens:
    Du bist Jeschu begegnet, der einst auf der Ynys Avallach weilte und später in Judäa gekreuzigt wurde; ihm bist du begegnet und dazu Jacwb, dem ermordeten Priester, der auf der Ynys Vytrin dein Freund war. Beide haben zu dir gesprochen; du hast dich in deinem Herzen von ihnen bewegen lassen, ihre Bitte nicht zurückzuweisen. Den Weg erkanntest du, den ich dir von allem Anfang an wies; dir wurde er vorbestimmt, weil niemand sonst fähig wäre, ihn mit solcher Hingabe wie du zu gehen. Denn obwohl du unsägliches Leid durchgestanden hast, hieltest du dennoch unverbrüchlich an deiner Menschenliebe fest; dies macht dich zu meiner Auserwählten; dies und darüber hinaus dein Wissen um die Bedeutung des Kampfes, den der Rote Drache gegen den Weißen Drachen führt. In jenen Kampf sollst du nunmehr eingreifen; mein Wunsch verbindet sich darin mit dem des Gekreuzigten …
    »Ja!« brach es aus Branwyn heraus. »Ich habe gekämpft, und ich will weiter für den Sieg des Guten eintreten!« Sie zögerte kurz und fügte mit leiserer Stimme hinzu: »Aber du weißt, was mir angetan wurde! Und ich wäre nicht imstande, so etwa noch einmal zu ertragen! Davor fürchte ich mich …«
    »Das ist nur allzu verständlich«, entgegnete Samira. »Du warst verliebt in den Notarius, vertrautest ihm und wurdest auf übelste Weise hintergangen! Nun hast du Angst, es könnten weitere infame Intrigen gegen dich ins Werk gesetzt werden: Anschläge, an denen du vielleicht zerbrichst …«
    »Die Göttin, deren Mund stets lautere, wenn auch manchmal verschleierte Wahrheit spricht, deutete etwas Derartiges an«, flüsterte Branwyn. »Ceridwen forderte mich in Avalon zwar zum Kampf gegen den Weißen Drachen auf, warnte mich jedoch andererseits vor den damit verbundenen Gefahren!«
    »Was exakt enthüllte die Göttin dir?« wollte Samira wissen.
    Branwyn schloß die Augen, konzentrierte sich und wiederholte sodann langsam die rätselhaften Sätze, die ihren Geist damals ebenfalls erfüllt hatten: »Fürchte dich nicht vor dem, was dich in Rom erwartet! Fürchte dich nicht, auch wenn dein Schicksal einem zweischneidigen Schwert gleicht. Im Licht schimmert die eine Seite der Klinge, Schatten verdunkeln die andere; sofern du nach der Waffe greifst, mußt du beides annehmen! Wenn du dich also zum Kampf entschließt, wirst du Helligkeit in die Welt tragen und aufgrund dessen sehr hoch steigen; gleichzeitig aber wird Finsternis dich bedrängen und dich auf dem Gipfelpunkt deines Pfades in großes Leid stürzen, so daß scheinbar alles niederbricht, was du aufbautest. Dies ist das Los, das deiner harrt …«
    Nachdem Branwyn geendet hatte, herrschte für eine Weile Stille in der Sibyllengrotte; schließlich erklärte Samira: »Diese Offenbarung bezieht sich zweifellos auf die anstehende Bischofswahl. Falls du kandidierst, verheißt die Göttin dir den Sieg, prophezeit dir aber zugleich eine Niederlage. Diese allerdings wird – und hier liegt ein Geheimnis verborgen – nur scheinbar erfolgen; damit bleibt der Kern der Aussage in der Tat im dunkeln …«
    »Genau das ängstigt und verwirrt mich!« versetzte Branwyn. »Ich möchte den Willen Ceridwens erfüllen, doch …«
    »Doch du würdest gerne einen etwas deutlicheren Blick hinter die Schleier tun, nicht wahr?« fiel Samira ein.
    »Mir selbst ist es nicht möglich …« murmelte Branwyn.
    »Gut, ich will es versuchen!« Die Sibylle erhob sich, ging zum Menhir in der Höhlenmitte und ließ sich auf der niedrigen Steinbank davor nieder.
    Branwyn beobachtete die Freundin von der Feuerstelle aus; sie sah, wie Samira ihre Meditationshaltung einnahm, und spürte, wie die Sibylle sich in Einklang mit den Erdkräften brachte, die an dem besonderen Platz wirksam waren.
    Zeit verstrich; die Atmosphäre in der Grotte, wo einzig noch das

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