Die Bischöfin von Rom
Lebensmut geschenkt.
Branwyn, die ihre Freundin immer wieder versonnen betrachtete, spürte, daß Samira in der langen Zeit, die sie sich nicht gesehen hatten, weiter gereift war. Noch stärker als früher strahlten innere Gelöstheit und seelische Wärme von ihr aus; ohne Zweifel befand sie sich in tiefem Einklang mit Diesseits- und Anderswelt gleichermaßen. Das äußerte sich in ihren Worten, Gesten und ebenso ihrem Erscheinungsbild; etwas wie feine, wissende Zärtlichkeit malte sich auf ihrem ebenmäßigen, vom schwarzen Haar umrahmten Antlitz, und aus ihren hellen Augen leuchteten verständnisvolle Menschlichkeit und Güte.
Erneut fühlte Branwyn sich im Zusammensein mit der um einige Jahre älteren Freundin unendlich geborgen. Sie lauschte auf ihre Worte und genoß dabei das schmackhafte Essen; nachdem beide gesättigt waren, räumte Samira die leeren Schüsseln ab und kam mit einem Tonkrug sowie zwei Bechern zum Ruhelager zurück.
Der Rotwein schmeckte nach Sommerglut und sonnenwarmer Erde. Er bewirkte, daß die Unterhaltung allmählich vertrauter wurde: so vertraut wie in jenem Winter, da sie sich, einige Zeit nach Branwyns Genesung, über ihre Freundschaft hinaus körperlich gefunden hatten. Irgendwann dann – und es geschah ganz natürlich, ganz selbstverständlich – schlüpfte Samira zu ihrer Freundin unter die Decke. Von neuem erforschten und entzückten sie sich gegenseitig, entdeckten einander auch auf diese Weise wieder und liebten sich zuletzt mit jener innigen Zärtlichkeit, mit jenem instinktiven Wissen um die geheimsten Wünsche der anderen, wie es nur Frauen in ihrer intimen Zuneigung gegeben ist.
***
Am nächsten Morgen erwachte Branwyn wohlig entspannt. In heiterer Stimmung frühstückten die Freundinnen und kamen überein, gleich danach einen langen Spaziergang zu unternehmen. Als sie wenig später vor die Höhle traten und über die zu dieser Stunde in pastellweiches Licht gebadete Gebirgslandschaft schauten, hatte Branwyn das Empfinden, als läge ihr schreckliches Erlebnis mit Acacius bereits Monate und nicht erst zwei Wochen zurück. Tief atmete sie die milde, nach Blumen und Wildkräutern duftende Luft ein, drehte sich wie befreit im Kreis und folgte Samira dann zu einem Pfad, der höher in die Berge führte.
Sie stiegen bis zu einem Sattel empor, von dem aus sich ihnen ein faszinierender Blick auf den jetzt tief unten liegenden Bolsena-See öffnete. Gleich einem azurblauen Juwel schimmerte das fast kreisrunde Gewässer inmitten sattgrüner Weinberge und Weideflächen; an einer Stelle furchten filigrane, kaum sichtbare Muster die Oberfläche: eine Flottille von Fischerbooten, die zu ihren Fanggründen segelten. Lange verweilten die beiden Frauen an diesem einzigartigen Aussichtspunkt, ehe sie über einen anderen Weg, der am Ufer eines Gießbaches entlangführte, zur Grotte heimkehrten. Als sie dort ankamen, lag die einschläfernde Stille des Mittags über der Landschaft; Samira und Branwyn bereiteten sich ein leichtes Mahl zu und verbrachten den Nachmittag auf einer flachen Felsplatte vor der Höhle, wo sie sich herrlich sonnen konnten.
Auf ähnliche Art verstrichen die folgenden Tage. Erlebnisreiche Wanderungen durch die bezaubernd schöne Natur, erholsame Ruhe und dazu die vertrauensvolle Zweisamkeit mit Samira ließen Branwyn wieder zu sich selbst finden. Wohlweislich vermied sie es in dieser Zeit, allzu intensiv über die Probleme nachzudenken, die – falls sie nach Rom zurückkehrte – dort auf sie einstürmen würden. Samira wiederum, die aufgrund ihres Gesprächs am ersten Abend über die Situation in der Tiberstadt Bescheid wußte, machte keinerlei Anstalten, Branwyn zu einer Entscheidung zu drängen. Geduldig wartete sie ab, bis die Freundin aus freien Stücken darüber reden wollte; nach einer Woche schließlich geschah es.
Das Wetter war kurz vor der Abenddämmerung umgeschlagen; jetzt, nach Einbruch der Nacht, prasselte der Regen gegen den hölzernen Windschutz, mit dem Samira den Grotteneingang verschlossen hatte. Die beiden Frauen saßen an der Feuerstelle; unruhig flackerten die Flammen in der Zugluft und ließen zuckende Schatten über die Felswände tanzen. Eine ganze Weile verfolgte Branwyn das Spiel von Finsternis und rötlichem Licht wie gebannt; es war ihr, als kämpften andersweltliche Mächte gegeneinander. Dann wandte sie sich plötzlich Samira zu und stieß hervor: »Soll ich mich … trotz allem … der Bischofswahl in Rom stellen?!«
Lange
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