Die Bischöfin von Rom
Knistern des Feuers und das gedämpfte Prasseln des Regens zu hören waren, schien sich auf seltsame Weise verändert zu haben. Erst als der Sturm draußen plötzlich heftiger wurde, um ein paar Herzschläge später ebenso unvermittelt wieder abzuflauen, erwachte Samira aus ihrer Trance.
Im nächsten Moment war Branwyn bei ihr, griff nach ihrer Hand und erkundigte sich erregt: »Was hast du hinter den Nebeln erschaut?!«
Die Sibylle bewegte lautlos die Lippen; offenbar hatte sie Mühe, die richtigen Worte zu finden, schließlich antwortete sie stockend: »Widerstreitendes erblickte ich … Ganz wie die Göttin es dir aufzeigte … Deinen Sieg über das Patriarchat sah ich … Rom wird leuchten, weil dein Wirken der Stadt Segen spendet … Doch dann, aus der Finsternis des Lateran heraus, der tückische Anschlag … Derjenige, der noch in diesem Jahr erhöht werden wird und dein Verbündeter ist, vermag es nicht zu verhindern … Sein Antlitz wird in tödlichem Schock erbleichen, während Kriegsgewitter fern im Osten toben … Wenn der Erhöhte stürzt, trifft auch dich der Haß der Priester … Danach Schwärze und Kälte im dunklen Gewölbe …«
Mit zitternder Stimme unterbrach Branwyn: »Schwärze und Kälte – dies wird das Ende sein?!«
Die Sibylle zog sie an ihre Brust, hielt sie fest, streichelte zart ihr Haar. »So erschaute ich es jenseits der Schleier – aber ebenso erspürte ich Licht, das die Finsternis durchdrang. Und es war mir, als wüßte ich: Du wirst trotz allem nicht verlassen sein …«
»Niemand ist verlassen, der Ceridwen die Treue bewahrt«, flüsterte Branwyn. »Denn sie ist es, welche die Fäden unseres Schicksals in Händen hält, sie von der Diesseits- zur Anderswelt knüpft … und damit den Tod überwindet …«
Samira machte Anstalten, zu widersprechen, doch Branwyn hinderte sie durch eine Geste. Behutsam löste sie sich aus den Armen der Freundin, ging zurück zum Feuer, setzte sich an ihren alten Platz und starrte in die tanzenden Flammen. Die Sibylle tat es ihr gleich, neuerlich herrschte für längere Zeit Stille in der Grotte.
Zuletzt hob Branwyn den Kopf, suchte den Blick Samiras und sagte, wobei ein kleines, zwischen Wehmut und Erleichterung changierendes Lächeln um ihre Lippen spielte: »Ich danke dir! Du hast mir sehr geholfen, indem du mir ohne Umschweife offenbartest, was du in deiner Vision sahst. Denn dadurch hat die Bedrohung, die auf mich lauert, ihren Stachel verloren. Irgendwie ist sie greifbarer geworden als zuvor, und ich empfinde deshalb keine unüberwindliche Furcht mehr. Weil das aber so ist, fühle ich nun auch die Kraft in mir, den Weg zu beschreiten, den Ceridwen mir vorzeichnete.«
Etwas Undefinierbares stand in den Augen der Sibylle, als sie entgegnete: »Selbst wenn der Wille der Göttin uns unfaßbar erscheint, sollen wir ihn erfüllen. Nur so überwinden wir die Dunkelheit und mündet der Pfad unseres Daseins am Ende ins Licht.«
Branwyn nickte. »Ich werde also nach Rom zurückkehren und mich um das Bischofsamt bewerben. – Doch wenigstens ein paar Tage möchte ich noch mit dir verbringen, ehe wir Abschied nehmen müssen.«
»Wir wollen uns die Zeit, die uns bleibt, so schön wie möglich machen«, antwortete Samira.
Wenig später bemerkten die beiden Frauen, daß der Regensturm sich gelegt hatte; als sie sich zum Höhleneingang begaben und den Windschutz beiseite zogen, sahen sie, wie hinter den abziehenden Wolken der Mond hervortrat.
***
Anfang Juni traf die Presbyterin von Sancta Maria wieder in der Tiberstadt ein. Angela, Camilla und Gaius, die trotz der schriftlichen Nachricht, die Branwyn ihnen hinterlassen hatte, sehr um sie besorgt gewesen waren, begrüßten sie mit großer Erleichterung und erfuhren nun Näheres über die Hintergründe der Flucht ihrer Hausgenossin in die Berge Etruriens. Auch Silvia, die Priesterin von Sancta Praxedis, die man noch am gleichen Abend verständigte und die sofort ins Atriumhaus kam, wurde eingeweiht.
Den Gemeindemitgliedern hingegen, die sie am Tag nach ihrer Rückkehr zu einer Versammlung in die Kirche lud, erzählte Branwyn nur, daß sie sich in die Gebirgseinsamkeit zurückgezogen habe, um hinsichtlich der Bischofswahl mit sich selbst ins reine zu kommen. Jetzt sei sie bereit, für das Amt zu kandidieren, sofern die Gläubigen dies nach wie vor wünschten. Kaum hatte sie ihre Absicht bekanntgegeben, schlug ihr – nicht anders als früher – begeisterte Zustimmung entgegen.
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